I Am Nothing But Emotion CD

I Am Nothing But Emotion, No Human Being, No Son, Never Again Son

CD/LP, Blue Soldier Records/Pocket Records/Pastel Music/Love Da Records/Gold Typhoon Music, 2010


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back Ein junger Mann sitzt in seinem Wohnzimmer am Flügel. Er spielt, wie er sich gerade fühlt und singt genau das, was ihm gerade in den Sinn kommt. Auf diese Weise versucht er dem Gefühl zu entfliehen, das er sonst im Tonstudio bei den Aufnahmen seiner Lieder verspürt. Denn dort fürchtet er sich zu sehr vor dem eigenen Versagen, versinkt in den breit angelegten Produktionsprozessen und entfernt sich immer weiter von den Songs, die ihm noch so nahe standen in dem Moment, als er sie geschrieben hat.

Maximilian Hecker empfindet Glück in dem Moment, in dem er seine Songs schreibt und sie als Demo zum ersten Mal daheim aufnimmt. Dieses Glücksgefühl allerdings schwindet, wenn er im Studio perfektionistisch an seinen Liedern arbeitet, sie arrangiert und zusehen muss, wie den Songs nach und nach die Reinheit abhandenkommt, die er im Moment der ersten Aufnahme so sehr an ihnen geschätzt hat. Seinen Höhepunkt hat dieses Unglück mit der eigenen Musik bei den Aufnahmen zum Vorgänger 'One Day' erreicht.

Bei seinen Konzerten fürchtet er, den Anforderungen des Publikums nicht gerecht zu werden. Wenn er mehrfach seine Songs unterbricht, um sich beim Publikum dafür zu entschuldigen, dass er die vorangehende Passage nicht einwandfrei gesungen hat, betont er deutlich, es handele sich nicht um Koketterie. Es ist ihm ernst.

Maximilian Hecker möchte also anders musizieren als er es bisher getan hat.

'Vielleicht sollte ich echt mal sagen: 'Nein Nein Nein! Jetzt - verdammt nochmal - bring ich mein Demo raus.', hat er daraufhin einmal in diesem Interview angekündigt. Und genau dieser Fall ist nun eingetreten. Mit 'I Am Nothing But Emotion, No Human Being, No Son, Never Again Son' veröffentlicht Maximilian Hecker seine Musik in Reinform - so, wie er sie im heimischen Wohnzimmer anfangs aufgenommen hat - ohne nachträgliche Produktion.

Der Sound klingt ein wenig dumpfer als auf den vorangeheden Alben und die Instrumentierung ist sehr zurückgenommen. Die meisten Songs bestehen lediglich aus einem zurückgenommenen Piano-Klang und Maximilian Heckers farcettenreicher Stimme. Manchmal noch verfeinert eine filigrane Akustikgitarre den Klang. Mehr Instrumente jedoch kommen nicht zum Einsatz. Das Album enthält weder einen einzigen Schlagzeugschlag noch einen Ansatz von elektronischen Verzerrungen. Dafür klingen hier und dort Straßengeräusche von draußen in das Wohnzimmer von Maximilian Hecker, während er sein Lied aufnimmt.

Auffällig sind besonders zwei Ähnlichkeiten zum Album 'I'll Be A Virgin, I'll Be A Mountain' aus dem Jahre 2006. Erstens spielt Hecker das darauf enthaltene 'Messed-up Girl' nun auf dem neuen Album in einer Piano-Version. Zweitens erinnert die Melodie des Songs 'Grandiosity' an einigen Stellen stark an 'The Saviour' von 2006. Maximilian Hecker stützt sich also auf Material, das ihm besonders am Herzen liegt. Eine musikalische Ähnlichkeit sogar innerhalb des Albums besteht zwischen den Songs 'Glaslights' und 'Your Kingdom'.

Es scheint ihm wichtig zu sein, dass seine Hörer wissen, was er mit seinem neuen Album bezweckt. Deswegen legt Maximilian Hecker seine Seele offen, wird sehr persönlich und schreibt im Booklet einige Zeilen zu jedem seiner Songs.

Der Schlüssel zu seinem neuem Album ist wahrscheinlich die Geschichte um Nana, aus der gleichnamiger Song entstanden ist. Bei Nana handelt es sich um eine asiatische Prostituierte, die er nachts getroffen hat, als er am Ende seiner Asientour enttäuscht und verlassen durch Tokios Straßen streifte. Im Gegensatz zu den anderen Prostituierten auf der Straße schien sie ihn zu verstehen. Und so ließ sie es zu, dass er sie umarmte und sogar küsste. Er konnte sich wieder geborgen fühlen und dankt Nana mit seinem Song dafür, dass sie sich seiner angenommen hat. Sie ist der Grund dafür, dass er im letzten Vers feststellen kann: 'Tonight I'll be fine'.

Dieses Erlebnis bedeutet eine Reinigung für Maximilian Hecker, sodass er befreit auf Tokios nachtleeren Straßen den Song 'Sad Eyed Lady Of The Lowlands' von Bob Dylan singt und ihn mit seinem Handy aufnimmt. Als Hidden-Track findet sich dieses Dokument seines Neubeginns am Ende des Albums.

Bei Maximilian Hecker existieren Freude und Schmerz nur als Einheit. Das einleitende Gedicht 'Blue Soldier Night', das von einer weiblichen, mechanischen Stimme wie durch eine Telefonleitung vorgetragen wird, bringt diese ungewöhnliche Verbindung auf den Punkt: 'But heaven is where hell is'.

Dass dieser Gegensatz in Maximilian Heckers Kopf vorherrscht, manifestiert sich auch in den weiteren Texten des Albums. Da er sie zumeist während der Aufnahme aus dem Kopf direkt auf das Band gesungen hat, finden sich einige Motive recht häufig. Sie zeigen damit, dass sie Heckers Gedanken dominieren. 'I don't know where the flowers grow and I belong there anyway' heißt es beispielsweise in 'Nana' und 'I belong where the flowers grow, I belong with you' in 'The Greatest Love Of All'. Das Motiv der 'Glaslights' findet sich ebenso in zwei verschiedenen Songs. Dabei handelt es sich um Kunst auf Fensterscheiben, die er einmal im Zimmer einer Frau entdeckt hat und denen er sich zugehörig fühlt. 'I belong here in your Glaslights' heißt es in 'Holy Dungeon' und später noch einmal 'I belong there in your Glaslights' im Song 'Glaslights'.

Ohnehin ist auffällig, dass viele Verse seiner Texte das Verb 'belong' enthalten. Es scheint, als stelle sich Maximilian Hecker sich sein Leben ganz genau vor, als könne er genau aufzeigen, wohin er gehört - und dieses Ziel trotzdem einfach nicht erreicht.

'I belong where the sun shines, I belong in your heart, I belong in your sorrow' zählt er in 'The Greatest Love Of All' auf. Des Weiteren: 'I belong where no one else can grow my heart into my sorrow, I belong in you' ('No One's Child'), 'I belong there in your kingdom, fallen long time ago' ('Your Kingdom') und 'I belong there where to know is 'When' ('You'll Come Home Again').

Maximilian Hecker sucht Liebe, denn er weiß: 'There is no life, there is no life alone' ('Grandiosity'). Doch er distanziert sich von dem Spiel zwischen Mann und Frau, das er 'The Machinery' getauft hat. Er möchte sich nicht verstellen müssen.

'I Am Nothing But Emotion, No Human Being, No Son, Never Again Son' lebt von der Geschichte dahinter. Um die volle Bedeutung dieses Albums ermessen zu können, ist es wohl unerlässlich, sich mit Heckers Sichtweise auf die Musik, die Liebe und das Leben auseinanderzusetzen. Nur auf diese Art und Weise können die Hörer verstehen, was er mit diesem Album ausdrücken möchte.

Falls die Hörer diese tiefere Auseinandersetzung nicht zulassen möchten, klingt das Album vielleicht redundant, seicht und langweilig. Doch sobald sie Heckers Einladung folgen, in seine Gedankenwelt einzutauchen, entfaltet es die Pracht in vollem Umfang.

Denn Maximilian Hecker verfolgt sein Konzept konsequent. Dadurch, dass er über sehr persönliche Erlebnisse und Gefühle singt, sie im Booklet näher erläutert und die Stücke in seinem eigenen Wohnzimmer völlig allein und rein aufgenommen hat, stellt er einen unglaublich direkten Bezug zu seinen Hörern her. Sie müssen sich lediglich Zeit für ihn nehmen.