Mirage of Bliss CD

Mirage of Bliss

CD, Blue Soldier Records/Gold Typhoon Music/Leeway/Love Da Records, 2012


Whiskey-soda.de

back »If I portrayed my notion of care on your canvas / And if I painted our future in gold / Would you wipe it?« ... Maximilian Hecker gehört zu den wohl schillerndsten menschlichen Belegen, die einem zur Auswahl stehen, wenn man beweisen möchte, welch prachtvolle Resultate aus Entsagung und Sehnsucht als Inspirationsquell hervorgehen können. Dabei scheint es doch erst auf Anhieb völlig ausgeschlossen, dass einer offensichtlich zerrissenen Seele so etwas wie Harmonie entspringen könnte. Was aber »Mirage of Bliss«, dem nunmehr siebten Album des Berliner Künstlers, an Harmonie und Ausgeglichenheit - jedenfalls musikalischer - innewohnt, läuft dem lyrischen Gehalt absolut entgegen. Nicht, dass dies etwas Neues wäre, nein. Aber bemerkenswert bleibt es.

Maximilian Hecker hadert mit sich, seinen Emotionen, der Liebe, der Welt, er horcht in sich hinein, verteufelt, zweifelt, wagt zu hoffen, fragt und fragt - bis es weh tut. Und gleichzeitig schmust er mit dem Schmerz. Klingt erlöst, während er die Ketten besingt, die sich nicht sprengen lassen. Ist die Ruhe selbst, wenn er vom Ende und der Besinnungslosigkeit singt. Laut eigenen Angaben ist Maximilian Hecker nämlich dann glücklich, wenn er fühlt - unabhängig davon, was genau er fühlt. Das In-der-Lage-Sein allein zählt.

»Mirage of Bliss« ist ein Konzeptalbum zur Desillusion. Es definiert den immerfort gegen die Fügungen kämpfenden, reizüberfluteten Hecker nicht neu, sondern anders, und trägt damit dem Wandel in des Künstlers Inneren Rechnung. Kennt man den puristischen, hochgradig eigenwilligen 2010er Vorgänger »I Am Nothing But Emotion, No Human Being, No Son, Never Again Son«, auf dem er sich noch zwecks Selbstfindung im Schneckenhaus der Exzentrik verkroch und in Konsequenz dessen auch das Studio mied, wird man sich direkt zu Anfang des neuen, tadellos produzierten Albums schon angenehm überfordert fühlen angesichts der instrumentalen Dichte. Bandmusik könnte man es nennen, hätte nicht Maximilian Hecker alle Instrumente bis auf den Bass selbst eingespielt.

Einen nächsten Schritt der Verarbeitung seiner selbst im neu eingeleiteten hecker'schen Hoffnungsleerlauf (»I am wandering, I am straying / I will always do / I am wondering if I ever will arrive at theirs« - »Treasure Trove«) illustriert die Platte, geladen mit persönlicher Bedeutung und Emotion an allen Ecken und Enden. Im Anschluss an seine Eigenbrötler-Phase, in der Hecker die Gesichtsbehaarung und mir ihr sowieso alles außer Acht ließ, was einen modernen, professionellen Musiker dem Allgemeinverständnis nach ausmacht, haben wir es nun mit einem förmlichen Aufblühen zu tun. Nach letzterem strebt wörtlich auch Maximilian Hecker, hin- und hergerissen zwischen seinem an sich bewährten Schutzmantel aus Distanz und Isolation und dem kaum unterdrückbaren Bedürfnis nach Wärme. So fragt er sich im Opener »The Whereabouts of Love«, der würdigen ersten Single: »Is reclusiveness a curse / or could it be a blessing? / A wall against disorder? / While it shields me from the rain / It causes me to dry out / and counteracts my blooming«.

Klanglich schlägt die nahezu durchgehend unaufgeregte Platte keinen großen Bogen. Es finden sich herzzereißend verlorene, schwelgerische Herzblut-Oden wie »If Only I Could See« und märchenhaft-verklärt anmutende Stücke wie beispielsweise »Silent, Lucid Flashes«. Zum Chorus des letzteren ließe sich sogar sehr langsam und sehr zärtlich tanzen, vorausgesetzt man misst dabei dem Inhalt der Lyrik nicht allzu viel Beachtung bei - denn das wäre der im Tanze aufkommenden Verbundenheit kaum zuträglich. Den Eckpunkt in Sachen musikalischer Schärfe markiert ohne Frage »Heavenlies«, der »lauteste« Song, mit seinem spannenden Aufbau. Sich verzweifelt um Piano-Akkordsplitter windend steigert sich hier der kunstvolle Gesang standesgemäß bedrückten Inhalts (»Somewhere deep inside me / buried under fears and apprehensions / true care's sleeping / waiting for the dawn«) gemeinsam mit einer unheilvollen Basslinie in einen ausdrucksstarken, in Melancholie getränkten Refrain hinein. Den anderen Eckpunkt bildet wiederum das klavierlastige »The Forsakenness of Raging Love« als eine Neuentdeckung der bedingungslosen Entschleunigung, wie wir sie in der Form am ehesten vom »Lady Sleep«-Album gewohnt waren.

In dem achtminütigen 道玄坂 schließt der mit Abstand längste Song das Album ab. Benannt ist dieses hymnisch-eindringliche, vergleichsweise chaotisch instrumentierte Stück nach dem Hügel Dōgenzaka, der mit seinem Rotlichtmilieu eines der Zentren des Tokioter Nachtlebens darstellt. Für den in Asien zum Popstar avancierten Maximilian Hecker selbst hingegen steht der Bezirk Shibuya für das Ineinandergreifen seiner zwei Lebenswelten und -wirklichkeiten und einen Teil seiner Vergangenheit: »Trapped in no man's land between my old life and the new world / Can't escape it, can't escape it«.

Fast beschwörerisch flößt Maximilian Hecker über eine knappe Stunde dem Hörer seine Musik und damit sein Gedankengut ein wie ein Sedativum; seine unverwechselbare, kristallen-ätherische Stimmfarbe wirkt sich dabei denkbar effektsteigernd aus. »Mirage of Bliss« verkörpert einmal mehr Sinnlichkeit gewordenen Herzschmerz. Vielleicht sogar mehr denn je. Ein behutsam niederschmetterndes Album zum Genießen und (Be-)Mitleiden. Man untersage Maximilian Hecker auf Lebenszeit die Veröffentlichung fröhlicher Musik.