Spellbound Scenes of My Cure
CD, Eat The Beat Music/Leeway/Avant Garden Records/北京龙在飞传媒文化有限公司, 2015
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Laut UN-Report sollen die Dänen die glücklichsten Menschen der Welt sein. Auch wenn die Sachsen nun einen Beschwerdebrief verfassen und die Schwaben sich eine Gegendemonstration lieber schenken wollen: Maximilian Hecker, der Schöngeist mit dem spärlichen Dreiwochenbart, wird dieser These sicher zustimmen. Besingt er doch auf »Spellbound Scenes of My Cure« Kastrup gleich doppelt, ein Exempel von einem Kaff, nur zum Weglaufen erbaut. Eben jener triste Vorort von Kopenhagen, der schon wegen seiner protzigen Flugplatzarchitektur viele Gründe liefert, sofort wieder abzuhauen. Trotzdem zog es Hecker genau dort hin, als er vor gut zwei Jahren dem Kleingedruckten einer Kurzbeziehung im Affekt entfloh. Aber wo andere Leidensgenossen an solchen Orten verzweifeln, blühte Hecker zusehends auf - nach Abschluss seiner persönlichen Ergotherapie hat er sogar ein ganzes Album über die heilende Wirkung postindustrieller Enklaven produziert.
Möglich, dass Heckers gereinigtes Ego den alten Marotten zugleich Adieu geflüstert hätte? Von wegen. Sämtliche Lästermäuler dürfen frohlocken, denn er schluchzt da weiter, wo er seit jeher die Tränen ins Knopfloch gedrückt hat: inmitten von fragilen Songskizzen, die eine autistische Einsamkeit in sich tragen. Allerdings greift Hecker weder auf die Glätte von »Mirage of Bliss« zurück, noch lässt er sich zu einem weiteren Versuch in der heimischen Dusche herab, so wie er er es beim Vorgänger »I Am Nothing But Emotion, No Human Being, No Son, Never Again Son« getan hat. Stattdessen gerät »Spellbound Scenes of My Cure« zu einem Beleg der herzerweichenden Ballade als Ort ehrlichster Offenbarung, wenn auch mit den üblichen Defiziten behaftet.
»To Liu Wen, The Opposite House, 3 a.m.« betet das chinesische Model in einer Pracht an, die nicht zu erwarten war. Vom ersten Xylophon-Tupfer über Heckers schmachtenden Kopfgesang bis hin zu den Streicher-Ausläufern an einer Küste aus opaken Gitarrensplittern: Alles sitzt, hat seinen Platz und betört das Gemüt in reinster Güte. »Love Hotel Hill« und »Gangnam Misery« hingegen sind da nur nette Schwestern und in ihrer Machart von früheren Alben bekannt. Aber dann, in der eingangs erwähnten Hymne »Untouchable (Kastrup part II)« wie auch dem abschließenden »Kastrup«, ist es wieder da, das Gefühl des einen, wahren Momentes. Hecker hat sich in ihn verliebt, weil er eben dort lauert, wo man gar nicht mit ihm rechnet. Und weiß ihn hier so überzeugend umzusetzen wie kaum anderswo. Zwei Torch Songs ohne künstliches Kerzenlicht, aber mit jeder Menge Herzenswärme.
So ließe sich noch ewig über die intime Rafinesse von »Partyworld«, das wohlige Ankommen in »Battery Park« oder jenes wundersame Déjà-vu bei »Aoyama's Glow« referieren, wenn der Chef nicht für Rezensionslängen die totale Austerität verkündet hätte. Also schließt dieser Text mit den Worten, die im Ruhrgebiet längst Flügel bekommen haben und die genauso für das vom Enterträner Hecker besungene Henningsdorf bei Berlin gelten könnten: Anderswo is' auch scheiße.