Einfach mal peinlich sein


Der blasse junge Mann bewegt sich eher zögerlich durch die moderne Metropole. Man sieht ihn auf vielen Partys, aber meistens steht er am Rande, behält immer seinen Parka an und unterhält sich kaum oder nur flüchtig, als müsse er gleich weiter. Dabei lächelt er selten. Seine Schultern fallen nach vorn, die Haare ins Gesicht, aber der Blick schweift in die Ferne. Er ist eine Erscheinung. Wer glaubt, der blasse junge Mann sei ein Artefakt, das sich überlebt hat, der irrt. Den blassen jungen Mann wird es noch lange geben, und gerade jetzt hat er wieder Hochkonjunktur.

Man kann sich kaum vorstellen, dass Maximilian Hecker, 23 Jahre alt und seit drei Jahren in Berlin, jemals irgendwo ankommen wird. Selbst im Hochsommer wirkt er irgendwie fröstelnd. Sein Blick entzieht sich ständig, auch wenn es im geschlossenen Raum eines nichtssagenden Cafés in Berlins Mitte nicht viel zu schweifen gibt. Mit jeder Geste strahlt er aus: Pubertät ist ein Entschluß, und solange es sie gibt, unsere erfolgsorientierte, säkularisierte Gesellschaft, solange wird es auch mich geben - den sensiblen Rebellen. Ich bin dagegen. Ich boykottiere euer Arbeitsleben. Das Vitale ist mir zuwider. Weil ich die Oberflächlichkeit unserer Jagd nach Konsum und Vergnügen durchschaue und auf die Vergeblichkeit allen menschlichen Strebens hinweise. Ich verneine die Neuerungen der Technik, die Leistungsshow Techno, aber auch das coole Gefrickel, den elektronischen Kram und was das alles aus der Musik gemacht hat.

Einfach nur schöne Lieder sind es, die von Maximilian Hecker zum beeindruckenden Berliner Film 'alaska.de' und auf seiner vor kurzem erschienenen Single 'Infinite Love Song' zu hören sind. Allesamt kitschige Herzensbrecher, "traurige Balladen, die auf die Tränendrüse drücken", erzählt er. Die Art von Songs eben, die sich der Künstler nicht ausdenken kann, Songs, auf die er warten muß, die zu ihm kommen, wenn es auch manchmal Monate dauert. "I walk around alone at night", singt er in seinem Hit. Neben purer Herrlichkeit und Harmonie verströmen seine Lieder Ruhelosigkeit, grenzenloses Fluten, die Auflösung alles Festen in Bewegung, und, vor allem anderen, süße Sehnsucht, ganz getreu dem bekannten romantischen Motto: "Wo gehen wir denn hin? Immer nach Hause."

Nun wäre es zu kurz gegriffen, der von Maximilian Hecker kultivierten Haltung Originalität zu unterstellen. Der blasse junge Mann ist ein Klischee, aber eins, das funktioniert. "Ich glaube, die Leute wollen sich von mir berauschen lassen", sagt er. So kann man es auch sagen. Und so kommt es, dass der Liedermacher ausgerechnet bei Kitty-Yo, der zurzeit glitzerndsten Plattenfirma Berlins, gelandet ist. Als eins der letzten kleinen Labels, das noch nicht von der großen Industrie aufgekauft worden ist, will sich Kitty-Yo, ganz Wille zur Macht, gemeinsam mit Bands und Künstlern wie Gonzales, Kante und jetzt Maximilian Hecker von unten ein Stück der großen Torte hamstern. Daher spart man auch nicht mit grossem Tamtam. Doch ist das Geraune um den kommenden neuen Superstar Berlins nicht nur inszeniert: Das Bedürfnis nach Intimität scheint auch von einer neuen Müdigkeit in Berlins Ausgehgesellschaft zu kommen.

Lange galt Berlin musikalisch betrachtet als Dorf, in dem außer Kraut-und-Rüben-Rock kaum was geht. Es muffelte nach Proberaumgemütlichkeit und süßlichem Retortenpop, wirklich Eigenständiges war selten. Dann, vielleicht seit Mitte der neunziger Jahre, brach plötzlich etwas los. In Clubs, illegalen Bars und ranzigen Wohnzimmern entstand eine neue Szene, ergaben sich Schnittstellen, Netzwerke, einem kleine Familie, aus der einem ganze Reihe neuer, toller Bands mit putzigen Namen wie Mina, Britta oder Jeans Team hervorgingen.

Gemeinsam schien ihnen ein Hang zum Kuscheln, eine Art Schutzsuche vor Baustellen, Bonner Immobilienhaien und vorm kalten Berliner Wind, der besonders im Winter um die Häuser pfeift: 'Komm an den Ofen' hieß ein Lied, bei dem im Stil von Band Aid mehr als dreizehn Szenehelden mitsangen. Was dieser Stimmung jedoch in großen Teilen abgeht – und das scheint die Beteiligten mittlerweile selbst zu langweilen -, ist der Griff nach den Sternen, etwas Glanz und Eleganz und der Blick über den Tellerrand, zum Beispiel auf Britpop.

Genau in diese Lücke fällt jetzt Maximilian Hecker, der überall anzutreffen ist, wo es flauschig ist, sein musikalisches Herz aber anderswo schlagen lässt. Noch das Maß einer kleinen Stadt in Ostwestfalen im Kopf, begann er seine musikalische Karriere als Straßenmusikant am Hackeschen Markt. Dort spielte er die Lieder seiner Jugendidole, der Beatles, von Simon and Garfunkel und Cat Stevens, deren Platten er bei seinen Eltern, Akademikern, geliehen hatte, aber auch Neueres von Beck oder Oasis.

Fast täglich, so berichtet er kokett, sprach ihn dort jemand an und lud ihn zum Beispiel zu Castings ein, was ihn "ganz schön wunderte". Eines Tages las ihn dann Almut Klotz auf, ehemals Mitglied der legendären Berliner Lassie Singers, und gründete mit ihm ihre neue Band Maxi unter Menschen, wo er vor allem Schlagzeug spielte. Doch bei Konzerten am Ende des Programms ließ er oft ellenlange Zugaben auf sein Publikum los, viele davon Coverversionen von Travis oder Grandaddy. Es gab als Bandmitglied einfach zu wenig Rampenlicht. Maximilian Hecker will den Grössenwahn. Ein Star werden. Dafür hat er sogar seine Ausbildung zum Krankenpfleger aufgegeben.

Diese Haltung könnte zwar für frischen Wind sorgen in Berlin, wirkt aber auch auf viele ziemlich ambitiös. "Die Lieder sind wirklich schön", hört man manchen Szenekenner sagen, "aber das Getue von dem ist zum Kotzen. Und ausserdem macht er auch nichts anderes als Britpop in Berlin". Weil Hecker all das weiß, kann man ihn trotzdem süß finden. Er will gar nicht eine neue Schule gründen. Er will sich nur selbst entblößen, ganz wie seine Vorbilder, sein Herz auf die Zunge nehmen und peinlich sein – trotz vieler gelungener Beispiele in England und Übersee ein gewagtes Unterfangen hierzulande.

"Ich übertreibe meine Schwäche, meine Sensibilität, meine Probleme, erwachsen zu werden – als Masche", erzählt er. Aber auch: "Ich denke immer, ich kann etwas nicht bringen, weil es zu kitschig ist, mache es dann aber doch, und hinterher denke ich, mir geht es ja tatsächlich so. Ich erkenne immer erst im Rückblick, dass das genau ja ich bin." Wäre demnach nicht alles viel einfacher, wenn wir uns schlicht wohlfühlten in unseren Klischees? Lustiger, spannender und entspannter?

So lange er so schöne Lieder macht, hat er seine universale Berechtigung, der blasse junge Mann mit seiner träumerischen Schwermut. Soll er ruhig immer weiter leiden, wie vor zweihundert Jahren, heute und auch in tausend Jahren noch.