No more Grössenwahn
back In einem Gespräch relativiert Maximilian Hecker die Stichhaltigkeit dessen, was er sagt, auffallend oft selbst. "Jetzt widerspreche ich mir aber, oder?", sagt er dann zum Beispiel. Man darf dankbar sein, wenn einem ein Gesprächspartner gegenüber sitzt, dem das eigene Geschwätz von vor fünf Minuten überhaupt noch einen Gedanken wert ist. Man möchte Maximilian Hecker beruhigen, denn das gelegentliche inkonsistente Schlingern durch die eigene Selbsterklärung wirkt geradezu nebensächlich vor den großen Widersprüchen an denen er sich seit jeher abarbeitet. Vor der Widersprüchlichkeit seiner eigenen Motive, die er mit einem neuen Album, mit einem Album namens "I’ll Be A Virgin, I’ll Be A Mountain", ausformuliert:
"Wenn man sich direkt auf den Titel des Albums bezieht, dann ist es der Wunsch, in der realen Welt die Glückseligkeit zu erleben und die gleichzeitige Erkenntnis, dass genau das eigentlich paradox ist. Reinheit und Vergeistigung sind ja faktisch für jemanden aus Fleisch und Blut nicht erlebbar. Auf diese Erkenntnis folgt Kapitulation und der Abbau von Idealismus. Das neue Album ist realistischer als die vorherigen. Es versucht sich nicht selbst im Weg zu stehen, nicht ständig das unerreichbare zu wollen, sondern sich zu bescheiden, die Realität wahrzunehmen. Den Größenwahn, die Egozentrik hinter sich lassen, versuchen, erwachsen zu werden und durch Realismus das Maximum an real verfügbarem Glück zu erfassen und nicht einem paradoxen Glück hinterher zu rennen."
"Oh Maximilian!", möchte man da ausrufen, "Deine schwärmerische Seinsferne hat uns immer so sehr gerührt, wie soll Dir bitteschön Realismus zu Gesichte stehen, wie zu anmutigen Songs verhelfen?" Die Antwort ist in den Liedern, die im Inneren immer gleich sind, wie Maximilian sagt. Egal, welches Motiv sie dirigiert, egal in welcher Stimmung sie verfasst sind, egal welche Art von Instrumentierung sie einfordern, sie sind im Inneren immer gleich. Sie greifen immer noch nach dem Unerreichbaren, sie sind sich der Unerreichbarkeit ihrer Anreize nur besser bewusst. Maximilian sagt auch, so etwas wie die Art des Arrangements oder ein innovativer Produktionskniff oder die Instrumentierung seien Dinge, denen gerade die Musikkritik unentwegt hinterher hechelt, die im Grunde aber unbedeutend werden vor der Güte des Songs und dem Ausdruck in der Stimme. Maximilian umschließt mit seinen Liedern das Wesentliche. Immer schon, aber auf dem neuen Album, diesem "I’ll Be A Virgin, I’ll Be A Mountain" mit einer außergewöhnlich selbstsicheren Entschlusskraft. Natürlich spricht es wieder von Sehnsüchten, es spricht von Reinheit, von Ewigkeit und von Liebe, es spricht davon in einer gewandten und fintenreichen Sprache, in einer Sprache, die er stärker durchdenkt als zuvor, denn seit er Bob Dylan als eine seiner Anregungen zulässt, sind ihm auch die Texte wichtiger geworden. Er spricht von all diesen Dingen, er singt von ihnen, natürlich, diesmal aber nicht mehr ausschließlich mit Falsett- sondern auch mit Bruststimme, er kleidet sie in ein Songverständnis, das sich offenkundig von allerlei internationalen Songwritertraditionen leiten lässt und doch am Ende unverkennbar ist. Denn er implementiert in dieses Verständnis das Wesentliche und Unverrückbare, die Intuition des Suchenden. Vielleicht ist es gerade das Missverstehen dieser Intuition, das Maximilian Hecker manchmal vorkommen muss wie ein Missverständnis seiner Person. Er fühlt sich sehr oft missverstanden, so scheint es. Darum wird er auch nicht müde, sich zu erklären, selbst wenn er dadurch den Mythos, den er immer wieder mit seinen Liedern belebt, vorsätzlich einebnet. Ein Mythos lebt im Unausgesprochenen, das weiß auch Maximilian Hecker, insbesondere auf der Bühne.
"Ich rede auf der Bühne zum einen, weil ich vermute, dass das von mir erwartet wird. Am liebsten würde ich gar nicht reden. Am liebsten wäre es mir, wenn nach jedem Lied ein Vorhang herunter kommt und bei Beginn des nächsten wieder hochgezogen wird. Während eines Songs vor Publikum zu stehen ist unproblematisch. Schwierig wird es nur in den Pausen. Da fühle ich mich nackt, beobachtet und ausgeliefert. Das abfallende Selbstbewusstsein versuche ich dann wahrscheinlich durch Ansagen zu kompensieren. Es ist dann wohl so, dass ich dieses unangenehme Gefühl durch verwirrende Ansagen an das Publikum zurückgebe, obwohl es das mitnichten verdient hat."
Vieles an Heckers Person bleibt auch nach Erklärung uneindeutig, sein vermeintlicher schöngeistiger Gestus, seine Konzession an mancherlei Erwartungshaltung, die vor der Ausprägung eines Klischees immer noch rechtzeitig einen Haken schlägt, die Rolle des Missverstandenen, der aber Kritik, positive wie negative, an sich abperlen lässt.
"Ein Song an sich trägt die Bestätigung für mich in sich, ich muss nicht im Nachhinein durch Publikum oder Kritik bestätigt werden. So etwas prallt glücklicherweise von mir ab. Ich bin nie aufgeregt, wenn eine Platte veröffentlicht wird, ich bin nur aufgeregt, wenn ich im Studio bin. Bei positivem Feedback auf der Bühne ist es so, dass ich es innerlich als endlich einmal angemessene Reaktion werte. Was allerdings nicht als Vermessenheit missverstanden werden darf. Ich werde nicht euphorisch oder eitel, ich denke nur: endlich reagiert mal jemand richtig! Das ist sozusagen der Ausgangspunkt, die Norm, kein eigentliches Hochgefühl. Ich würde durch positives Feedback also niemals den Boden unter den Füßen verlieren, was natürlich enorm hilfreich ist. Wenn man eitel würde, sich auf sich selbst etwas einbilden würde, dann könnte man ein nächstes Album wohl vergessen. Dann würde man sich sicher irgendwelchen stereotypen Lifestyles hingeben anstatt gute Songs zu schreiben."
Vieles an Heckers Person bleibt uneindeutig, gerade die Gedankenverlorenheit dieses Ich-Künstlers, der an mancher Stelle im Widerspruch mit sich selbst ist. Die Widersprüche stehen vor den großen Songs. An die stereotypen Lifestyles wird Maximilian Hecker wohl nie verloren gehen. Das ist gut so.