Gespaltene Persönlichkeit im soziophoben Abendkleid

Ein Gespräch mit dem Berliner Musiker Maximilian Hecker über Asien, Märchenprinzen und Nüchternheit.



Der Titel deines neuen Albums lautet "One Day", was hat es damit auf sich?

Das ist der Titel eines Liedes, der Text ist auch sehr eindeutig, kein doppelter Boden. Eine typische Erlösungshoffnung, was ja auch schon immer Thema bei mir war.

Du warst ja die letzten Jahre sehr viel in Asien unterwegs, inwiefern haben dich die dort gesammelten Eindrücke und Erfahrungen bei der Entstehung deines neuen Albums beeinflusst?

Es ist mir auf jeden Fall ans Herz gewachsen und Asien ist ja irgendwie auch ein bestimmtes Prinzip mit seinen Erlösungs-Phantasien. Ich habe schon auch ein bisschen gebraucht, bis ich mich daran gewöhnt habe, mit dem Fremdsein klar zu kommen. Irgendwann gab es allerdings eine Art Initialzündung und ab da bin ich dem Kontinent auf gewisse Art und Weise verfallen. Das äußert sich einfach dadurch, dass ich mich dort anders fühle, in der exotischen Umgebung näher bei sich selbst zu sein als jetzt in meinem Berliner Alltag. Weniger Pragmatismus, weniger Pflichtgefühl, weniger Vernunft. Sobald ich in Asien bin, fühle mich wieder wie ein kleiner Junge, der eine Goldgrube entdeckt hat. Das hat natürlich viel mit Projektion und Träumerei zu tun, etwas, das immer in mir ist, deshalb mache ich ja auch diese Musik. Eigentlich versuche ich diesen Zustand zu ändern um ein besseres Leben zu führen, Erwachsener zu sein.

Warum glaubst du das aufgeben zu müssen, schließlich ist das Bewahren einer gewissen Kindlichkeit und Unschuld ja auch eine gute Inspirationsquelle oder Ressource für künstlerisches Schaffen?

Das sind ja Träume und Größenphantasien, alles was mich ablenkt von meinem wahren Sein, das lenkt mich ja auch von meiner Balance ab. Wenn man ein Träumer ist, dann ist die Fallhöhe halt gleich viel schmerzlicher durch überhöhte Erwartungshaltungen. Aber um auf den Einfluss Asiens auf die Musik zurückzukommen. Das erste Stück ("The Space that you're in") handelt von der fremden Kultur und der Begegnung mit einer Frau in Asien. In der letzten Zeile heißt es "Ich werde niemals im selben Raum sein wie du" , womit ich mich einerseits auf die Unvereinbarkeit der kulturellen Unterschiede beziehe und andererseits auf die Tatsache, dass man sich selbst immer der Nächste bleibt. Ist vielleicht etwas pessimistisch. Musikalisch hat sich glaub ich nicht viel verändert.

Wie kam es eigentlich zu der Veröffentlichung in Asien, die einen ganzen Rattenschwanz an Ereignissen für dich nach sich zog. Hattest du schon immer eine Affinität zum Kontinent?

Affinität, nein. Ich reise auch eigentlich nicht gerne und das stand nie oben auf meiner Wunschliste. Irgendwann traf eine unscheinbar wirkende Mail aus Korea bei meinem damaligen Label Kitty-Yo ein, dass man gerne mein Album lizensieren würde. Die Labels dort sind sehr musikbegeistert und stöbern durch Import-CDs, um Interpreten für ihren Markt zu finden. So war es wohl auch bei mir. Ich habe das am Anfang gar nicht so ernst genommen, als ich dann allerdings das erste Mal dort ein Konzert gespielt habe, waren auf einen Schlag 600- 700 Leute da! Die anderen Länder haben dann bald nachgezogen, bis auf Japan, das ist sehr autark, was den Musik-Markt und -Geschmack betrifft.

Auf deiner Homepage gibt es viele gesammelte Kunstwerke – Bilder, Fotografie und so weiter – von deinen Fans. Der Großteil davon ist wahrscheinlich von Fans aus Asien angefertigt. Du wirst da ja sehr zum Posterboy bzw. zur Ikone stilisiert. Wie ist das für dich?

Ist natürlich praktisch, wenn man weiß, dass man damit mehr Leute erreichen kann. Verwirrend ist, dass wenn mir dermaßen viel Aufmerksamkeit zukommt, eher das Gegenteil von dem passiert, was man erwarten würde. Ich fühle mich weder toll noch gutaussehend, sondern eher hässlich und immer in der Angst, ob man einem bestimmten Bild genügen kann. Da wird ein gewisser Narzissmus ausgelöst und ich frage mich natürlich, warum sind diese Menschen so aufgeregt mich zu sehen, die kennen mich ja gar nicht.

Da findet natürlich auch eine starke Projektion statt …

Ja, und ich stelle natürlich auch einen ziemlichen Gegensatz zu dem patriarchisch geprägten asiatischen Männerbild des Familienoberhauptes dar. In deren Augen empfinde ich wie eine Frau, die Emotionen, die ich preisgebe, wie ich singe, sehr untypisch..das verwirrt und übt gleichzeitig eine gewisse Anziehung aus.

Der Märchenprinz?

Ja, so werde ich ja dort auch genannt.

Mir ist zu Gehör gekommen, dass du auch seit einiger Zeit wieder gerne Straßenkonzerte spielst (Anm. der Red.: Herrn Heckers "Entdeckung" fand ja vor Jahren auf diesem Wege statt), stimmt das?

Seit einem Jahr etwa. Ich mag das, es gibt keinen Erwartungsdruck, man kann machen was man will. Ich fühle mich da nicht beobachtet. Bei den Straßenkonzerten ist eigentlich jedes richtig gut, so wie bei einer normalen Tour vielleicht nur jedes 20ste.

Um nochmal auf dein Posterboy-Image zurückzukommen: Du lässt dir momentan einen Vollbart stehen und trägst deine Haare sehr lang. Hat das etwas damit zu tun, diesem Idealbild nicht mehr entsprechen zu wollen?

Maximilian Hecker: Das hat nichts direkt damit zu tun, allerdings ist es schon so, dass ich mich in Asien immer sehr zurückgehalten habe. Die Aufzeichnung vom FM4-Konzert konnte man ja jetzt auch im Internet kucken und da habe ich einige entsetzte Reaktionen von asiatischen Fans bekommen, so nach dem Motto: "Wie siehst du denn aus? Geht’s dir gut?" Ich hatte immer das Gefühl, ich kann den Leuten dort nicht zumuten wie ich vielleicht wirklich bin, weil es nicht zu dem Bild passt, das sie von mir haben. Und eigentlich bin ich das Gegenteil von meiner Muse – pragmatisch und gerne auch provokant. „Ich hab einen kleinen Pimmel, leckt mich am Arsch.“. In deutschen Interviews sage ich so etwas gerne auch mal. Ich habe aber gar keinen kleinen Pimmel, nur jetzt mal als Beispiel einer Provokation …

Alles klar.

Ich habe einfach keine Lust mehr mich zu verstellen, will so sein wie ich bin auf der Bühne – gerne auch mal zerstörerisch. Ich will mein eigenes Bild brechen, um mir Freiraum zu schaffen und nicht eine Norm erfüllen zu müssen, sonst kann ich nicht mehr singen, sonst bin ich verklemmt. Meine neue Plattenfirma steht da voll hinter mir, ich sage einfach gerne mal die Wahrheit. Die Wahrheit ist: Am liebsten mache ich Musik, wenn keiner zuhört! Da würde natürlich jeder Image-Berater laut aufschreien. Der neue Hecker, es geht nur noch darum, dass ich mich wohlfühle.

Deine Fans werden sich kaum davon abschrecken lassen, dass du deine Meinung kundtust und mit dir selbst im Reinen sein willst. Du bist ja auch als Veranstalter der "Suizid Lounge" tätig hier in Berlin und hattest da ein ganz spezielles Konzept, erzähl doch mal.

Ja, das was es dann geworden ist, ist leider nur ein billiger Abklatsch, ein Kompromiss zum ursprünglichen Konzept. Das Einzige, was von der Grundidee geblieben ist, ist die helle Beleuchtung, das Neonlicht. Das Club-Konzept beinhaltet ja auch die Idee von der Nüchternheit aller Gäste, mit Kontrolle an der Tür, sonst kann man ja Vorglühen. Es ist hell, alle tragen Uniform, es gibt keine Musik. Entstanden ist die Idee aus einer Furcht vor Sozialkontakten, die mich beim Ausgehen in Besitz nimmt. Legt die Verkleidungen ab, zeigt wie ihr wirklich seid, darum geht es. Zeigt Schwäche und Menschlichkeit, legt alle die Masken ab. Natürlich meinte der Veranstalter, das wäre nicht umsetzbar – weil da keiner kommen würde und somit entstand der Kompromiss. Ich lege meine Lieblingslieder auf und es ist hell. Ich mache Dorfdisco in einem angesagten Club und werde somit zu einer Oase neben dem ganzen Techno-Geballer. Jugenderinnerungen werden geweckt, die Leute liegen sich in den Armen. Ich befriedige ihre Sehnsucht nach Gefühlen. In dem Moment merken sie, was ihnen gefehlt hat.

Wie ist dein persönliches Verhältnis zum Nachtleben, speziell hier in Berlin?

Nachtleben? Also auf jeden Fall eine Hassliebe. Wo bringt man die Triebimpulse unter, wenn nicht im Nachtleben? Das Bedürfnis ist manchmal auch nur alle 3 Woche da, im Nachhinein ärgert man sich über die eigene Unvernunft, die Ausschweifungen. Klar, wie soll es sein, wenn man um 4:00 Uhr morgens in der Disco jemanden kennenlernt, das ist nicht befriedigend. Wie kann man das in den Griff bekommen? Wahrscheinlich, indem man eine Beziehung hätte oder in meinem Alter vielleicht auch schon eine Familie. Aber ich bin da völlig untauglich für, deshalb kann ich halt diese Impulse nicht anderswo unterbringen und fühle mich manchmal wie getrieben, auszugehen. Das fühlt sich nicht freiwillig an …

Wie sieht es mit Rauschzustand aus, verspürst du da eine ähnliche Ambivalenz?

Die Kontrolle abgeben ist zuerst stimulierend und dann macht es Angst. Es fällt mir schwer da Maß zu halten. Ich wünschte, ich wäre ausgeglichener …