Maximilian Hecker erträgt die eigene Kleinheit nicht



Noisey: Dein Buch heißt "The Rise and Fall of Maximilian Hecker". Du hast allerdings schon im Vorfeld mehrfach betont, dass sich der Titel nicht auf deine musikalische Karriere bezieht. Siehst du nicht die Gefahr, dass trotzdem viele zuerst diese Assoziation herstellen?

Maximilian Hecker: Das stimmt, die Karriere ist natürlich auch am Ende.

Das möchte ich nicht beurteilen. Aber du gehst das Risiko ein, dass Leute, die das Buch im Laden sehen und vielleicht länger nichts von dir gehört haben, genau so denken.

Ja. Aber kann so etwas schaden? Aus welchem Grunde sollte es? Ich glaube, der Leser ist bei diesem Buch ständig aufgefordert, das Augenzwinkern mitzulesen. Mit Augenzwinkern meine ich nicht, dass das, was ich geschrieben habe, nicht stimmt. Aber Ironie ist wichtig für mich, ich benutze sie gern und häufig, auch im Alltag und deshalb ist die Ironie natürlich auch im Text. Natürlich sollte der Leser das Übertriebene und Größenwahnsinnige des Titels "The Rise and Fall of Maximilian Hecker" bemerken. Ob er das tut, weiß ich nicht. Es ist ein Leichtes zu sagen: "Der Hecker ist ein Spinner, größenwahnsinnig" und so weiter ...

Es ist allerdings auch ein Leichtes zu sagen, das ist ironisch gemeint.

Ich glaube, dass man so bei so mächtigen Worten wie "The Rise and Fall" nicht einen G-Prominenten wie mich erwartet, sondern jemanden, der tatsächlich Großes vollbracht hat. Im Grunde ist das eine Phrase, in die ich mich eingefügt habe, ohne da hineinzupassen. Ironischer geht es nicht.

Wie kam es dazu, dass du angefangen hast, ein Buch zu schreiben?

Ich habe schon, seit ich ungefähr 17 war, immer Aufzeichnungen gemacht. Ich würde es nicht "Tagebuch" nennen, sondern es war eher so, dass ich Erlebnisse rückblickend aufgeschrieben habe. Oder ich habe im Dezember ganze Jahre rückblickend zusammengefasst. Ich habe dann, nach einer gewissen Zeit, diese Texte immer binden lassen. Die Vorläufer von "The Rise and Fall of Maximilian Hecker" stehen zuhause in meinem Regal.

Hast du dich jetzt bei diesen Aufzeichnungen bedient?

Ja, etwa ein Drittel stammt daher. Die anderen zwei Drittel habe ich geschrieben, als ich wusste, dass ich nun an einem Buch arbeite. Lange Zeit habe ich nicht gedacht, dass das, was ich für mich schreibe, gut genug geschrieben oder interessant genug ist, um veröffentlicht zu werden. Und dann habe ich innerhalb kürzester Zeit "The Tokyo Diaries" von David Schumann und "52 Wochenenden" von Jens Friebe gelesen und dachte, okay, das kann ich eigentlich auch. Und dann habe ich begonnen, "The Asia Diaries" zu schreiben. Habe also die Aufzeichnungen über meine Asienreisen gesammelt und diese ergänzt. Ich wollte das erst fertig schreiben und danach gucken, ob ich es veröffentlichen kann. Aber dann meldete sich ein Literaturagent, der ein Interview von mir gelesen hatte, und fragte, ob ich nicht ein Buch schreiben möchte. Und darauf habe ich ihm gesagt, ich habe bereits ein Buch fertig. Er hat mich dann motiviert, eben nicht nur meine Asienerlebnisse aufzuschreiben, sondern auch den Gegenpol: Europa, Deutschland, Berlin. Trotzdem ist dieses Buch für mich ein Experiment, ich sehe mich nicht als Schriftsteller.

Auf mich wirkt der Text sehr offen, sehr ehrlich und auch sehr ernst.

Das finde ich gut, weil es Leute gibt, die den ernsten oder auch den lyrischen Aspekt gar nicht bemerkt haben. Sondern eher davon berichten, dass sie sich unterhalten gefühlt haben oder lachen mussten. Aber natürlich gibt es viele ernste Passagen, man kann dieses Buch auch als einen tragischen Entwicklungsroman lesen. Da ist einer, der hat Hummeln im Hintern und einen Stock im Arsch – also gleich zwei interessante Sachen im Enddarm – und dazu noch Flausen im Kopf. Und der versucht, sich zurechtzufinden und schwankt dabei immer zwischen zwei Polen: seiner Heimat, beziehungsweise seiner Depression und der Metropole, beziehungsweise seiner Manie. Er fühlt sich auf beiden Seiten nicht wohl, weil er sich im Grunde nur wohlfühlen könnte, wenn er sich selbst erkennt und sein eigenes Leben führt. Nicht das der Eltern oder das des Klischee-Popstars. Das ist die Suche, die man als Leser miterlebt. Nur leider endet diese Suche nicht, denn was ich geschrieben habe, ist ein Entwicklungsroman ohne Entwicklung.

Es gibt weit und breit kein Happy End.

Ja, es war mir total wichtig, dass das Buch nicht so endet, wie in der Biografie von Eric Clapton, der seine Melia findet, und damit ist sein ganzes Leben mit all den Aufs und Abs, mit Drogenkonsum und so weiter plötzlich gut. Ein Happy End wäre ja auch in meine Alter etwas verfrüht.

Du sprichst über die Hauptperson deines Buches – die du ja selbst bist – als würdest du von außen darauf blicken. Ist das etwas, was durch den Prozess des Schreibens entsteht und dir hilft, bestimmte Dinge zu verarbeiten oder gar Probleme zu beherrschen?

Ich bin schon immer sehr reflektiert, häufig sogar zu reflektiert. Ich betrachte mich immer von außen und versuche, das, was ich sehe, in einen größeren Zusammenhang zu bringen. Ich habe schon häufig Aufzeichnungen gemacht, in denen ich meine Sorgen und Probleme in eine Art pseudowissenschaftlichen Text gegossen habe. Dieser Wunsch, dass ich mich in ein größeres Ganzes stelle, also mich betrachte wie eine Figur der Literatur, die einen wichtigen Prozess durchschreitet, ist natürlich ein Hilfsmittel, um Abstand von mir zu gewinnen. Das hilft mir auch, die Probleme, die ich habe, nicht an mich ranzulassen. Je rationaler ich über meine Probleme berichte, desto weniger fühle ich sie. Das ist eine Schutzhaltung. Daher kommt auch meine Selbstüberhöhung, weil ich die eigene Kleinheit, den Alltag, die Normalität nicht ertrage.

Als Schriftsteller hat man viel Macht, weil man Dinge erfinden, weglassen oder verändern kann. Du könntest zum Beispiel deine Probleme viel kleiner machen und sie so beherrschen.

Mir sind da die Hände gebunden, weil ich nichts erfinden will. Das ist mir sehr wichtig. Mein Buch ist eben kein Roman. Aber natürlich lasse ich Dinge weg, weil ich nicht mein ganzes Leben erzählen kann. Und es macht einen Unterschied, ob ich Sachen weg lasse oder alles erzähle. Dadurch kann ich den Text kontrollieren. Aber das ist für mich das einzige Mittel. Das Buch ist natürlich auch eine sehr entschärfte Fassung. Nicht vom Verlag, sondern im Grunde in vorauseilenden Gehorsam von mir selbst. Die Urfassungen dieser Tagebucheintragungen ist für mich eigentlich der Real Deal, vergleichbar mit meinem letzten Album "I Am Nothing But Emotion, No Human Being, No Son, Never Again Son". Da habe ich irgendwas rausgekotzt, wie ein kleiner sechsjähriger Junge, der mit Wachsmalern auf das Blatt schmiert und sagt "Das ist fertig". Und dann sagt der Erwachsene: "Aber nein, hier musst du aber noch, und da bist du über den Rand gekommen, und die Komposition stimmt noch nicht" – das steht im Gegenteil zu dem, was ich eigentlich will. Aber die Frage stellt sich immer: Bringt man das nun in die erwachsene Form, editiert man das, macht man das leserlich, oder lässt man es so? Und eigentlich bin ich großer Fan von der rohen Fassung. Deshalb habe ich bei der letzten Platte keine Studioproduktion gemacht und habe die Songs nicht arrangiert und keine Lyrics geschrieben. Bei dem Buch wäre es in gewisser Weise konsequent gewesen, den ganz rohen Text herauszubringen, in seiner Urform. Das Problem ist dann natürlich, dass viele Dinge darin nicht verstanden werden können. Ich erkläre da zum Beispiel keine Namen, oder ich beschreibe nicht, wie ich von A nach B gekommen bin. Aber es gibt eine Stelle im Buch, wo eins zu eins ein Text aus meinen Tagebuch-Aufzeichnungen abgedruckt ist. Es gibt da keine Absätze und keine Punkte ... (Maximilian blättert im Buch) Hier ist auch die Stelle, aus der nachher "I Am Nothing But Emotion, No Human Being, No Son, Never Again Son" entstanden ist:

" […] Doch der Himmel ist da, wo die Hölle ist, die Hölle der Verwesung kotzt Gefühl, reines Gefühl, nur Gefühl, ewiges Gefühl, ich bin nur noch Gefühl, kein Mensch, kein Sohn, nie wieder Sohn, nur noch Kunst, Reinheit, der Umweg hat mich an dein Ufer gespült, wo bist du jetzt, ich liege in deinen Armen, in den Gaslichtern deines Freudenhauses, oh schließe mich ein in dein erwachsenes Herz."

Diese Passage gefällt mir selbst am besten. Ich fühle mich immer von einem Über-Ich beobachtet, wenn ich einen Text in gewisser Weise gefällig mache oder verständlich. Da habe ich immer gleich das Gefühl, dass ich mich verstelle.

Und das hier ist echt.

Das ist echt und subjektiv und auf eine gewisse Art sehr egozentrisch. Es ist etwas, das nur mit mir zu tun hat. Damit isoliere ich mich ja auch, weil es sonst keiner versteht.

Deine Herkunft aus Bünde ist im Buch durchweg ein Thema. Was ist das Problem mit Bünde?

Es gibt überhaupt kein Problem mit Bünde. Wenn ich aus Darmstadt käme, würde da Darmstadt stehen. Es geht eher darum, dass Bünde eine Kleinstadt ist und keine Metropole. Und es geht darum, dass Bünde die Stadt meiner Eltern ist, in der ich mich behütet gefühlt habe und noch immer fühle, die mich aber auch als Kind darstellt, als jemanden, der nicht frei war. Bünde ist das, was man eben mit seiner Herkunft assoziiert: Auf der einen Seite das Einfache, Behütete, das Schlichte, das Reale und auf der anderen Seite das Einengende und die Behinderung an der Individuation.

Man wird seine Herkunft – vor allem wenn man aus einer Kleinstadt kommt – nie los. Die Flucht vor Bünde ist also zugleich eine Flucht vor dir selbst.

Ja. Da ich aus Bünde bin und mich auch nicht groß unterscheide von meinen Eltern, werde ich mich immer ins eigene Fleisch schneiden, wenn ich versuche, das zu verleugnen. Wenn ich sage: "Nein, ich gehöre nach Tokio", "Nein, ich bin ein Popstar", "Nein, ich bin Kurt Cobain", dann kann das vielleicht eine Zeit lang euphorisierend wirken, und ich kann mir das auch eine Zeit lang einbilden, aber ich werde nie zu 100 Prozent an diesem anderen Extrempol ankommen können, mich da wohlfühlen können. Weil ich immer mit einem Bein in Bünde bin. Der erste Lösungsweg ist es, zu versuchen, eine der beiden Pole loszuwerden. Ich töte Bünde oder ich töte den Größenwahnsinn. Das funktioniert aber nicht. Und dann springt man wie der dumme Hund hinter dem bunten Ball her, der nie genau weiß, wo der Ball eigentlich ist und wonach er schnappen soll. Mal schnappt man nach Bünde und mal nach dem Glamour – dem angeblichen – und fühlt sich nie wohl dabei.

Zu Beginn des Buchs beschreibst du deine ersten Jahre und gehst dabei auf deine Angst vor der Bühne oder davor, dich den Leuten zu stellen, ein. Insbesondere fällt das auf, bei deinen Solo-Auftritten ohne Band.

Angst ist der falsche Begriff. Unwohlsein trifft es besser.

Was ist der Trieb, der dich trotz des Unwohlseins immer wieder auf die Bühne drängt?

Das Problem ist, dass ich so viel Narzissmus in mir habe, dass ich mich immer wieder der Öffentlichkeit stellen will und mich zeigen will. Und dann bin ich in der Öffentlichkeit und merke, dass ich "Popstar-Legastheniker" bin und mit der Öffentlichkeit überhaupt nicht umgehen kann. Schon gar nicht damit, idolisiert zu werden, wie in Asien. Dann ziehe ich mich leicht verletzt wieder zurück, und dann kommt wieder dieses Gefühl, dass etwas nicht stimmt, dass ich mich doch zeigen will und was präsentieren will, und so pendele ich immer zwischen diesen zwei Polen. Es gibt ja auch gute Konzerte, aber meistens sind Konzerte eine schwierige Angelegenheit für mich.

Bis heute.

Ja, bis heute. Als ich das erste Mal mit Musikern unterwegs war, dachte ich, es ist ja gar nicht so grausam. Als Solokünstler ist es sehr schwer. Nick Drake hat, glaube ich, vier oder fünf Konzerte in seinem Leben gespielt. Weil er sofort eingesehen hat, dass er es nicht kann. Ich war da vielleicht ein bisschen stärker oder vielleicht sogar ein bisschen eitler. Aber ich weiß auch, dass es Konzerte gibt, die etwas ganz Besonderes sind. (Maxi holt sein Buch heraus, blättert, findet die richtige Stelle und beginnt zu lesen):

"Das Konzert wird das beste meiner gesamten Karriere. Gingen bei meinen Auftritten bis zu diesem Zeitpunkt Kunst und Leben wie eine Schere mal weiter, mal weniger weit auseinander, so kommen sie in diesem Moment ganz zusammen. Kunst und Leben, Mutter und Hure sind eins. Oder: Es gibt weder Kunst noch Leben, weder Mutter noch Hure. Es gibt nur noch die Gegenwart […]"

... blablabla. Also, es gibt natürlich auch Konzerte, in denen ich mich so selbstbewusst fühle, dass das Publikum nicht mehr stört. Meistens habe ich das Gefühl, das Publikum stört mich, denn ich fühle mich beobachtet. Und wenn ich mich beobachtet fühle, dann sehe ich vor mir eine negative Version meiner selbst. Dann denke ich: "Oh nein, jetzt sehen alle, dass ich hässlich bin". In so einer Situation geht ganz viel Energie in meinem Kopf dafür drauf, diesen Konflikt mit meinem Selbstbewusstein auszukämpfen. Nur ganz selten gibt es Momente, in denen es gar keinen Zweifel daran gibt, dass ich selbstbewusst bin. In solchen Momenten ist das Publikum im Raum, aber es löst keinen Konflikt in mir aus. Das passiert ganz selten, aber das sind dann wunderbare Erlebnisse.

Ist das Glück für dich?

Ich glaube, das würde man "Flow" nennen. Ich spüre dabei keine Euphorie.

Aber du bist im Reinen mit dir.

Ja, das ist ein Gefühl der Erhabenheit und des Eins-Seins.

Du hast einmal in einem Interview davon gesprochen, dass es im Leben nur darum geht, die Sinnlosigkeit des Seins zu betäuben. Gelingt das bei solchen Auftritten?

In solchen Momenten empfinde ich nicht, dass etwas betäubt ist, sondern, dass es die Sinnlosigkeit überhaupt nicht mehr gibt. Es ist ein Gefühl, dass es nur noch die Gegenwart gibt, und dass Konflikte für einen gewissen Moment nicht mehr existieren. Noch nie existiert haben.

Wenn du in der für dich eher normalen Situation bist, dass du dieses Gefühl eben nicht hast, sondern auf der Bühne stehst und irgendwann beginnst, an dir zu zweifeln – wie reagierst du darauf?

Es gibt zwei Möglichkeiten, und es kommt immer noch vor, dass ich die schlechtere wähle. Die eine ist das Pokerface. Einfach versuchen, sich die Zweifel nicht anmerken zu lassen und auch für sich selbst die Zweifel möglichst zu ignorieren, um das Konzert schnell hinter sich zu bringen. Oder das Selbstbewusstsein sinkt eben so in den Keller – und da können auch kleine Dinge, Zufälle als Auslöser ausreichen, ein Zwischenruf, nicht-funktionierende Technik oder eine komische Bühnenbeleuchtung – , dass ich wie ein kleiner, trotziger, verwirrter Sechsjähriger bin. Ich habe dann so Selbstauflösungserlebnisse. Mir wird schwindelig, schwarz vor Augen, ich beginne mich exzessiv beim Publikum zu entschuldigen und irgendwann fange ich dann an, die Leute zu fragen, was sie hier überhaupt machen. Wie können sie sich dieses Kretin namens Maximilian Hecker überhaupt anschauen, ohne dass ihnen schlecht wird? Wieso rennen sie nicht raus? Wieso werfen sie nicht mit Tomaten? Ich erwarte eigentlich eine bestrafende Reaktion. Absurderweise ist es so, dass in solchen Momenten ein Zuspruch vom Publikum kommt. Und das macht mich dann leider aggressiv, weil ich denke, die wollen mich verarschen. Das ist ein richtig unreflektierte Psychofilm, der dann abläuft.

Der Zuspruch vom Publikum ist mit Sicherheit ehrlich gemeint. Weil du Verletzlichkeit und Schwäche ausstrahlst – im Prinzip auch die herausragenden Merkmale deiner Musik.

Ja. Mein Manager für Asien begleitet mich immer auf diesen Tourneen und sagte mir nach einem solchen Konzert mal: "Maxi, eines deiner besten Konzerte!" und ich so: "Leck mich". Aber das scheint dann so empfunden zu werden. Dass es einem scheiße auf der Bühne geht ... das ist schon pervers. Das ist dieser klassische Widerspruch: Der Künstler will sich wohlfühlen in der Welt, und weil er das nicht hinkriegt, kann es sein, dass sein Musik interessant wirkt. Und wenn der Künstler sich wohl fühlt, kann es passieren, dass die Musik nicht mehr interessant ist.

Du versteckst dich häufig hinter einer Schutzwand aus Sarkasmus.

Meinst du Sarkasmus auf der Bühne oder generell?

Sowohl auf der Bühne als beispielsweise auch in Interviews.

Bin ich heute schon sehr sarkastisch gewesen?

Nein gar nicht.

Aber du hast Recht. Ich reagiere oft mit Sarkasmus, um Herr der Lage zu werden. Auf die Art werte ich die Situation ab, ich werte mich ab, vielleicht auch das Publikum oder den Journalisten mir gegenüber. Auf diese Art bringe ich uns alle ins Abseits, damit ich keiner Norm mehr gerecht werden muss. Ich kann nicht funktionieren, wenn ich in eine Norm reinpassen muss. Deshalb habe ich auch solche Schwierigkeiten im Studio. Ich muss die Situation brechen, bevor ich funktionieren kann. Bei einer Tournee 2009 hatte ich beim ersten Stück eine Elvis-Gummimaske auf und habe "Mr. Tambourine Man" von Bob Dylan gespielt, weil ich sofort eine Erwartungshaltung brechen wollte, um mich dann frei fühlen zu können.

Wie funktioniert das?

Wenn das Publikum da sitzt und wartet, dass es losgeht, ist es in diesem Moment mächtiger als ich. Ich bin machtlos, solange, bis ich Macht gezeigt habe und das Publikum bezwungen habe. Wenn ich aber das Publikum verarsche, bevor es überhaupt eine Erwartungshaltung aufbauen kann, bin ich schon von Anfang an in der Hierarchie über dem Publikum. Das ist sehr wichtig für mich, um gut zu performen.

Apropos Erwartungshaltung – du hast dein letztes Album bewusst "I Am Nothing But Emotion, No Human Being, No Son, Never Again Son" bewusst unprofessionell eingespielt und unbearbeitet veröffentlicht. Dein neues Album "Mirage Of Bliss" ist das absolute Gegenteil davon.

Dabei habe ich sogar noch weniger professionell angefangen, denn ich habe alle Demos mit einem Diktiergerät eingespielt. Und dann habe ich mich gefragt, was ich damit nun anfangen soll. Mache ich wieder das gleiche, wie beim letzten Mal oder gehe ich noch weiter und bringe einfach die Diktaphon-Aufnahmen raus? Und dann riet mir mein Asienmanager einfach, als Experiment namhafte Produzenten anzuschreiben.

Das hast du vorher noch nie gemacht?

Nein. Ich dachte immer, da wird nie was draus. Aber wir haben dann fünf bis acht Produzenten angeschrieben, drei bis vier haben sich sofort zurückgemeldet, und am interessiertesten war Youth. Wir haben telefoniert und eine Treffen in London vereinbart. Mir war nur wichtig, dass er mir sympathisch ist, nicht, welche Vision er hat. Ich dachte, er weiß schon, was er macht. Wenn er "Urban Hymns" produziert hat, brauche ich ihn nicht zu löchern damit, was er nun bei mir vorhat. Und wir waren uns dann auf Anhieb sympathisch, auch wenn er charakterlich das Gegenteil von mir ist. Er ist ein sehr in sich ruhender, entspannter, hippiesker Engländer, der total in der Gegenwart lebt.

Also weder Stock im Arsch, noch Hummeln.

Genau. Ich dagegen bin der nervöse, pragmatische Deutsche, der immer sehr viel planen will. Aber er hat es immer geschafft, mich zu überzeugen, dass wir nichts planen. Es hat tatsächlich funktioniert. Zum Beispiel musste ich zwei bis drei Bridges für einige Lieder schreiben, und da er mir nicht sagen wollte, für welche Lieder die waren, konnte ich mich nicht darauf vorbereiten. Und trotzdem habe ich es dann irgendwie geschafft, innerhalb von fünf Minuten eine Bridge zu schreiben, die dann auch in den Song passte und ansprechend war. Seine Arbeitsweise ist so gewesen, dass wir ganz schnell arbeiteten. Damit bei mir gar nicht erst die Versagensängste kommen konnten. Ich hatte immer nur zwei, drei Takes pro Instrument. Ich saß dann immer da: "Ich dachte, dass wäre nur die Probe, kann ich nicht noch einmal?" und war immer ein Häufchen Elend, und er war immer locker, hatte die Füße auf dem Mischpult und sagte: "Great, fun, next take, next take."

Also hat er es geschafft, die Erwartungshaltung gleich gering zu halten.

Er hat es versucht, aber es hat nicht immer funktioniert. Im Großen und Ganzen war die Studiozeit für mich natürlich furchtbar.

Du schreibst in deinem Buch, dass du oft das Gefühl hast, dass dich europäische Journalisten nicht ernst nehmen.

Ja, das habe ich häufiger erlebt. Auf keinen Fall alle, aber ich habe häufig gespürt, dass man sich provoziert gefühlt hat.

Wovon?

Das habe ich nie rausfinden können, leider. Ich glaube, weil sie denken, ich mache das als Masche, damit mir jemand über den Kopf streichelt. Oder um Frauen abzukriegen. Klar, kann das einen aggressiv machen, wenn man das glaubt. Wenn man als Mann, der sich männlich fühlt, behaupten würde: "Ich bin James-Blunt-Fan", dann würde man als uncool gelten. Oder man setzt es ein, um gerade als cool zu wirken, so "scheiße-geil" oder so. So eine völlig freie Äußerung über den eigenen Musikgeschmack, ohne Sorge, dass man dadurch seine Peergroup verliert, gibt es in unserer abgefuckten Medienkultur nicht. In Asien hab ich dagegen erlebt, dass genau das funktioniert. Da wird nicht überlegt, wie cool oder uncool ein Musiker einzuordnen ist. In den Zeitschriften hast du Iggy Pop neben Dido, neben Maximilian Hecker, neben Bob Dylan. Das ist eigentlich ein Ideal. Die Kunst ist es, nicht zu sagen, der ist so und der ist so und der ist noch besser, sondern alle sind gleich. Weil ja auch alle das Gleiche machen, nämlich singen. Diese verkrampfte Hinterfragung und Einordnung gibt es in Asien nicht, und deshalb werde ich da auch scheinbar leichter geliebt.

Wieso hast du trotzdem solche Probleme, diese asiatische Liebe zu akzeptieren?

Ich spüre oft Mitleid den Leuten gegenüber. Wenn da ein augenscheinlich junger und begeisterter Fan vor mir steht, dann habe ich Mitleid, weil ich denke: "Du findest jemand toll, der eigentlich nicht toll ist". Und dann habe ich Mitleid mit deren Fehleinschätzung. So lange jemand mich nicht kennengelernt hat, kann ich nicht akzeptieren, dass er mich gut oder schlecht findet. Ich kann nicht geliebt werden für nichts. Ich kann diese Bewunderung akzeptieren, wenn ich weiß, dass sie mir gilt und nicht einer Projektion.

Konntest du deinen Ruhm jemals genießen?

Ja ich konnte es mal genießen, aber nicht häufig.