Hecker: "Musik sollte einen Rausch erzeugen"



Herr Hecker, wir erleben Sie in dem Buch als getriebenen Künstler, der von Selbstzweifeln gequält wird, der sich als "kleiner, doofer, neurotischer Bünder" bezeichnet. Der unter Tourneestress leidet, der von asiatischen Fans angehimmelt wird, aber weder Nähe noch Liebe erlebt. Ganz schön mutig, das so offen auszubreiten.

MAXIMILIAN HECKER: Wenn ich früher Popstars im Fernsehen jammern gesehen habe, die meinten, das sei ja auch nur ein Job wie jeder andere und harte Arbeit, habe ich mich immer aufgeregt. Eigentlich tue ich jetzt beinahe das Gleiche. Natürlich könnte man sich provoziert fühlen durch so einen Text, der nicht von den Genüssen so eines Lebens berichtet, sondern von den Schattenseiten. Wenn ich einen anderen Beruf hätte, würde ich genauso grübeln, mir meine Gedanken machen und selbst im Weg stehen. Das ist eine Charakterfrage.

Nochmal: Es ist mutig, sich so zu offenbaren.

HECKER: Ich empfinde mich nicht als mutig. Ich habe eher das Gefühl, mir fehlt ein bisschen das Organ, um festzustellen, wann ich zu offen bin und wann nicht. Von Schwächen zu berichten, empfinde ich als befreiend. Ich denke, der Umgang miteinander wäre häufig leichter, wenn die Leute mehr zu den Schwächen stehen könnten. Häufig ist der Umgang miteinander so nervös, weil man versucht, eine Rolle zu spielen und unter dem ständigen Stress steht, diese Rolle aufrecht zu erhalten. Es kann einen stark machen, wenn man von Schwächen berichtet.

Zum Beispiel?

HECKER: Wenn man verliebt ist und dieser Person gegenüber auf einmal schüchtern wird, macht man es nur noch schlimmer, wenn man versucht, lässig zu wirken. Steht man aber zu der Schüchternheit, gewinnt man wieder etwas von Stärke und Macht zurück. Ich glaube, je authentischer man agiert, desto leichter macht man sich’s.

Statt Rockstar-Klischees heißt es bei Ihnen über das Tournee-Leben: "Zähneputzen und Kofferpacken statt Koksen und Sex mit Supermodels".

HECKER: Es gibt bestimmt viele Musiker, die genau das machen. Aber es geht in dem Buch natürlich auch darum, dass ich einerseits diesen Drang verspüre, so ein Leben zu führen. Aber in dem Moment, in dem ich es geboten kriege, merke ich, dass es nicht zu mir passt. Dass ich zu sehr wie meine Eltern bin als dass ich ein glamouröses und im Zweifelsfall selbstzerstörerisches Leben führen könnte. Es geht um die Frage: Wer bin ich? Bin ich Klein-Maxi aus Bünde oder bin ich ein Popstar?

Wie lautet die Antwort?

HECKER: Ich bin natürlich weder das eine noch das andere. Ich pendele zwischen zwei Extremen anstatt mich selbst zu entdecken. Das ist natürlich eine Suche, die nicht untypisch ist für Heranwachsende oder den Menschen an sich. Man hat seine Herkunft, dann gibt es das Aufbegehren gegen die Herkunft, die Eltern, die Heimatstadt. Und im Zuge dieser Rebellion kommt dann hoffentlich die Erkenntnis, wer man wirklich ist, um zur Ruhe zu kommen. Ich glaube, dass ich gewissermaßen immer noch in der Pubertät bin. Daran hat der Leser jetzt teil.

Es gibt viele Ambivalenzen in Ihrem Buch. So sprechen Sie von der "verinnerlichten Bünder Enge", aber Bünde steht auch für "Wärme, Heimat, Einfachheit, keine Magenschmerzen".

HECKER: Ich habe mich in Bünde sehr wohl gefühlt, und es gibt keinen Grund, Bünde mit seinen Menschen zu kritisieren. Da ich aus Bünde bin, ist Bünde ein Bild für mich, wie ich bin mit meinem Normal- und Schlichtsein, mit meinem Geerdetsein. Mein Bünde-Anteil hält mich am Boden und beschützt mich. Aber ich bin aus Bünde geflüchtet, um herauszufinden, ob ich vielleicht doch noch was anderes bin. Wenn ich meinen Bünde-Anteil verneine, hat das einen schalen Beigeschmack, denn damit bekämpfe ich mich selbst. Erwachsen wäre es zu sagen: Ich bin weder Bünder noch Berliner. Ich bin ich.

Beim "Aufstieg und Fall des Maximilian Hecker" geht es nicht um eine künstlerische, sondern eine persönliche Entwicklung. In Taipeh erleben Sie 2006, wie sich Ihre inneren "Gegensätze und Dämonen" in Luft auflösen. Den Grund glaubten Sie, in der Sängerin Laura Chan gefunden zu haben.

HECKER: Es war nicht wie sonst, wenn ich mich verliebe und Sehnsucht habe, die Frau zu berühren. Ich saß neben ihr, und mir hat das genügt. Mein innerer Horizont hatte sich geweitet. Ich hatte scheinbar mein wahres Selbst entdeckt. Als sie dann die Beziehung verweigerte, hatte ich das Gefühl, dass dieser neuartige Raum in mir und die Reife nicht mehr da waren. Ich habe nicht verstanden, dass nicht die Frau dieses Gefühl hervorgebracht hatte, sondern dass etwas in mir war.

Wie erklären Sie sich, dass Ihre sehnsüchtige, schwelgerische, emotionale Musik ausgerechnet in Asien so gut ankommt?

HECKER: Ich glaube, meine Musik ähnelt ostasiatischer Popmusik. Es gibt in Asien keine Berührungsängste vor Kitsch und Melodramatik, vor großen Themen wie Tod und Liebe. Ich glaube, je strenger ein Charakter und je pragmatischer, desto mehr sehnt er sich nach einer Flucht und einer Parallelwelt, auf die er dann seine Erlösungsfantasien projiziert. Eine strenge und patriarchale Kultur wie in Asien bringt eine besondere Art der Kunst hervor, die sehr gegenteilig zu dem Alltag der Menschen dort ist.

Inwiefern?

HECKER: Sie ist sehr übertrieben und märchenhaft. Und diese Art von naiver Kunst mache eben auch ich. Dieses aus dem Bauch Kommende und Uncoole ist im modernen Europa nicht mehr populär. Deswegen wird meine Musik hier entweder belächelt oder sie wird mir nicht abgekauft. Eine Hingabe an das Gefühl ohne Scham beherrschen die asiatischen Fans sehr gut. Das ist eine wertvolle Fähigkeit, die man im modernen und abgefuckten Westen zum Teil verloren hat. Die Asiaten genießen die Kunst anstatt sie zu hinterfragen. Das ist für mich die einzige und sinnvolle Form, Kunst wahrzunehmen. Musik ist etwas, das nicht mit dem Kopf verstanden werden sollte. Sie sollte direkt in den Bauch eindringen, einen Rausch erzeugen und eine Flucht aus der Realität ermöglichen.