„Ich sage immer, dass Musik bisher meine einzige Freundin war“
2001 war er plötzlich da, dieser Maximilian Hecker. Und klang so anders, als das Übliche, was man aus der deutschen Indieszene kannte. Wie ein Seelenverwandter von Radiohead und Sigur Rós, irgendwie. Songs wie von einem anderen Planeten, schwerelos und zugleich von beinahe überwältigender, zauberhafter Schönheit. Melodien wie übersinnliche Erscheinungen.
Daran hat sich nichts geändert: Auch das am 24. Januar erscheinende dritte Maximilian Hecker-Album 'Lady Sleep' ist ein kleines Juwel geworden. Euphorisch, ergreifend und wieder von einer harmonischen Brillanz gesegnet, die man besser erst gar nicht zu begreifen versucht. Und trotzdem:
Man liest oft, Deine Musik sei traurig.
Ich finde sie weder traurig, noch deprimierend. Aber es ist natürlich auch ein Unterschied: Wenn ich die Musik mache und kreativ bin, dann fühle ich mich sowieso gut – allein des Prozesses wegen. Auch wenn ich jetzt tatsächlich etwas Trauriges machen würde, dann wäre das trotzdem etwas Positives für mich, weil ich dabei ja gleichzeitig produktiv bin. Es ist für mich immer schwierig nachzuvollziehen, warum andere sich nicht auch so wie ich fühlen, wenn ich mit dem Lied zu tun habe. Meine Intention ist immer: Es soll harmonisch und schön klingen und durch diese zeitlose Schönheit zu einem höheren Zustand führen.
Du hast über Dein neues Album gesagt: "Das zentrale Thema von 'Lady Sleep' ist Sehnsucht nach Körperlosigkeit, dargestellt in der Sehnsucht nach Symbiose, Liebe Tod, Narkose, Glückseligkeit und Wahnsinn."
Bei diesem Satz geht es nicht um meine Sehnsucht, sondern um die Sehnsucht des Menschen an sich. Die Sehnsucht danach, die Last des Lebens – die sich durch den Körper bzw. die Schwerkraft darstellt – abzuwerfen. Ein Zustand, den man als Mensch ja schon einmal erlebt hat: vor der Geburt. Es geht um die Sehnsucht, diesen Zustand wieder zu erreichen.
Es ist andererseits ein Teil des Entwicklungsprozesses, wenn es einem gelingt, diesen Zustand der "Symbiose mit der Mutter" zu überwinden. Wenn man das nicht schafft, dann ergeben sich Charaktere, die sehr rückwärts gewandt eingestellt sind. Das typische Syndrom des Romantikers, der sich gezielt in die Sturzfahrt seiner regressiven Empfindungen hineinbegibt. Es ist auch ein Zeichen von einer nicht wirklich gelungenen Abnabelung, wenn man – wie ich – diese Sehnsucht hat.
Suchst Du in der Musik ein Substitut?
Ja, das auch.
Ist Körperlosigkeit für Dich grundsätzlich etwas Positives? Sie könnte ja auch Angst machen.
Man kann das "Körperlosigkeit" nennen, aber auch "statischer" oder "vergeistigter Zustand". Körperlosigkeit im eigentlichen Sinne kann man ja gar nicht erreichen – es sei denn, man stirbt. Ich meine mit diesem Begriff auch nichts, was man imitieren kann. Schon gar nicht, indem man Astronaut ist. Ein symbiotischer Zustand ist ja per Definition mitnichten ein Zustand ohne Körper. Sondern sogar eher: zwei Körper. Das sind also sehr abstrakte Begriffe, die ich anwende.
Wann kommst Du selbst der Körperlosigkeit nahe?
Bei Erlebnissen in Zusammenhang mit Musik.
Nichts ist ein so gefestigtes Glück wie Musik, oder?
Musik ist körperlos – das ist vielleicht der Grund. Ich sage immer, dass Musik bisher meine einzige Freundin war. Und im Grunde auch die beste, die man sich vorstellen kann.
Glaubst Du, dass Du einem anderen Menschen jemals so nah sein kannst, wie die Musik, die Du schreibst, an Dir selbst ist?
Nein, eigentlich nicht.
Beschäftigst Du Dich viel mit psychologischen bzw. philosophischen Themen?
Ich analysiere und abstrahiere immer automatisch. Alles, was nicht abstrakt analysiert ist, ist eine Lüge. Oder zumindest eine falsche Aussage. Wenn man mich fragt "Was ist Glück für Dich?" und ich antworte "Wenn ich Schokoladen-Eis esse", dann impliziert das ja nicht alles und man muss sich überlegen, was steckt dahinter, was ist im abstrakten Sinne wirklich Glück.
Hörst Du oft: "Du bist aber verkopft!"?
Ja, sicher. Aber da gibts ja dann als Ausgleich die Musik.
Was hat sich auf 'Lady Sleep' im Vergleich zu Deinen ersten beiden Alben verändert?
So viel eigentlich nicht. Es ist etwas zielgerichteter und selbstbewusster. Und ohne Elektrostückchen, die mir ja auch fast das Genick gebrochen hätten.
Warum?
Weil man sich dann im Plattenladen unter "Dance-Musik" findet.
Empfindest Du Text und Musik als untrennbare Symbiose oder als zwei eigenständige Wesen, die parallel die gleiche Geschichte erzählen?
Die Texte sind natürlich zweitrangig. Wenn ich sage "Ich habe ein Lied geschrieben", dann habe ich z.B. lediglich das Riff geschrieben. Zu dem Text muss ich mich zwingen – damit ich irgendwas singen kann. Allerdings erklärt die Musik immer erst, wie der Text gemeint ist. "I’m dying" klingt zunächst vielleicht morbide, wenn man nur den Text liest. Aber wenn man die Musik dazu hört, dann verdeutlicht ihre Harmonie, dass dieses "ich sterbe" unglaublich schön sein muss.
Die finnische Künstlerin Liisa Lounila hat das Cover für 'Lady Sleep' gestaltet. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Das ist eine Freundin von mir. Sie hatte bereits für das Artwork von 'Infinite Love Songs' (2001) eine Serie von Bildern gemacht, auf denen Menschen auf der Erde herumliegen. Nun hat sie eine Portrait-Serie von Menschen gemalt, die mit der Nightshot-Funktion einer Digitalkamera fotografiert worden sind.
Wie ist die Bedeutung dieser Bilder in Bezug auf den Albumtitel, 'Lady Sleep', zu verstehen?
Für mich ist es ein Schnappschuss von mir in der Dunkelheit. Und die Dunkelheit steht natürlich für Uterus, für den symbiotischen Zustand im Mutterbauch. Und während dieses Zustandes werde ich also zufällig fotografiert. Also natürlich nicht wirklich im Mutterbauch, denn dann sähe ich ja nicht so aus. Und hätte auch keine Yves Saint Laurent-Jacke an. In dem Zustand hätte man ja auch nicht das Geld, um sich so etwas auszusuchen...und käme auch überhaupt schlecht in einen Laden, so ohne Beine. (lacht)
Es ist einfach die Vorstellung davon, diesen symbiotischen Zustand eben auch in der Welt zu erreichen. Was natürlich absurd, aber in der Kunst möglich ist.
Du warst im Auftrag des Goethe-Institutes auf Welttournee. Gibt es Erlebnisse, die Dir besonders in Erinnerung geblieben sind?
In Sydney habe ich das erste und das letzte Stück der Platte geschrieben.
Hat die Stadt Dich inspiriert?
Nein, das hatte damit nichts zu tun.
In Seoul habe ich mich verliebt. Und die wollte mich nicht. In San Francisco gab's die klassischste Aftershow-Party überhaupt: Nackte Frauen in begehbaren Schränken auf dem Hotelzimmer, die nur auf jemanden warten und so.
Kommt man sich da nicht wie im falschen Film vor?
Wieso? Wenn man Popstar ist, dann ist das halt so. (lacht)
Ganz wichtig war auch, dass ich angefangen habe, Björk zu hören. Auch in Seoul. Und in Peking. Das sind für mich jetzt Björk-Städte.
Ist der 24. Januar, der Veröffentlichungstag von 'Lady Sleep', etwas Besonderes für Dich oder ist der Tag, an dem man ein Album fertig stellt, wichtiger?
Letzteres. Die eigentliche Arbeit ist ja getan, man kann nichts mehr ändern und die Selbsterlösung hat schon stattgefunden. Der Rest ist relativ.