Nothing But Emotion: Zu Gast bei Maximillian Hecker

Maximilian Hecker über Versagensängste, wie man mit Elvis-Masken Erwartungen bricht, und Dunkin’ Donuts.



motor.de: Im Vorfeld zu deiner neuen Platte fiel häufig der Name einer Prostituierten, und dass sie mitunter für einen „neuen, echten“ Maximilian Hecker verantwortlich sei. Was hat es mit dieser Person namens Nana auf sich, und inwiefern hat sie dich wirklich beeinflusst?

Hecker: Seit ich professionell Musik mache, habe ich immer wieder gemerkt, dass es mir in Situationen wie im Studio oder auch live nicht immer leicht fällt, und dass ich von Neurosen und Versagensängsten geplagt werde. Ich dachte immer, es ist Teil meines Berufes. Ich habe das nie in Frage gestellt. Aber 2008, insbesondere bei den Aufnahmen zur letzten Platte, waren meine Versagensängste dann so drastisch, dass ich das erste Mal überlegt habe, ob ich das vielleicht seien lassen soll.

Auf der Asientour im November war jedes Konzet eine Qual für mich. Ich dachte auf der Bühne: "Okay, wenn das jetzt so mein Beruf ist, dann muss ich Taxifahrer werden." Ich hatte komplett die Freude an der Musik verloren. Es gab vielleicht nur zehn bis fünfzehn Konzerte von den rund 400 in meiner Karriere, bei denen ich wirklich bei mir war. Rückblickend hatte ich allzu selten tatsächlich Freude. Viel zu häufig war ich abgelenkt oder habe innerlich einen Kampf ausgefochten, sagte mir: „Mensch, eben beim Soundcheck war doch noch alles super, und jetzt auf einmal kann ich nur noch 70 Prozent meiner Leistung bringen.“

Während man singt, eine Ansage machen muss oder vielleicht charmant auftreten soll, überlegt man dann die ganze Zeit, was eigentlich schief gelaufen ist. Ein öffentlicher Auftritt wird dadurch eher zum Stresserlebnis. An dem Punkt, nach der Asientour, diesen gefühllosen Konzerten und nachdem ich mich das erste Mal in Frage gestellt habe, traf ich dann Nana, die Prostituierte in Tokyo – wo ich mit meinem Manager nach der Asientour war. Ich bin zu Fuß zu meinem Hotel gegangen und kam durch das Rotlichtviertel von Shibuya. Da wird man halt angesprochen – das ist kein Phänomen.

motor.de: Also der Klassiker?

Hecker: (lacht) Wahrscheinlich der Klassiker, ja. Ich war in diesem Moment an einem Punkt, an dem ich mich irgendwie aufgegeben hatte und merkte, dass ich kein Ziel im Leben habe, keinen richtigen Halt mehr – und eine Beziehung zu einer Frau schon gar nicht. Das, was mir Halt gegeben hat – die Musik – konnte mir nun scheinbar auch nichts mehr geben. Ich merkte, dass meine Sehnsucht nach Sexualität vielmehr eine Sehnsucht nach Nähe und Halt war. So ist diese Nana-Geschichte im Grunde also relativ pointenlos. Sie stellt eben nur den Gipfel dieser Krise dar.

motor.de: Das klingt ja wahrlich nach dem Anfang des Endes einer Karriere. Das war es aber scheinbar doch nicht, wie wir jetzt sehen können. Wie hast du dich von diesem Tief erholt?

Hecker: Als ich wieder zurück in Berlin war, begann die Phase, die ich „Verwesungsmodus“ nenne. In dieser schüttelte ich den durch Äußerlichkeiten erzeugten Druck von mir ab. Ich sagte mir: ich rasiere mich nicht mehr, und ich will nichts mehr mit Frauen zu tun haben. Adrett kleiden will ich mich auch nicht mehr, sondern eine Jogginghose anziehen. Keine Lust mehr auf Konzerte, keine Lust mehr auf Studioaufnahmen. Ich erinnerte mich an die Straßenmusik und daran, wie viel Spaß mir das früher gemacht hat.

Eines Abends setzte ich mich dann einfach wieder an den Hackeschen Markt, mit meinem Keyboard auf den Knien, ohne Mikro und ohne Verstärkung. Da merkte ich dann mit einem Mal, doof gesagt, "Wow, ich kann ja so toll singen!" Bei Konzerten hatte ich nie den Eindruck, ich könne überhaupt singen. Aber in dieser Situation der Freiheit – es waren kaum Menschen da und keiner hat konkret zugehört – war das ein Gefühl, das mir zeigte, wie viel Leben und Musik noch in mir steckte. Also hab ich dann nur noch in Situationen Musik gemacht, in denen ich auch Spaß daran hatte.

Als ich die Aufnahme zum neuen Album machte, fiel mir dann auf: wenn ich im gleichen Setup aufnehme, in dem ich probe oder Stücke schreibe, wenn ich einfach ein Raummikro aufstelle, dann kann ich weitestgehend eben dieses Gefühl erhalten. So komme ich nicht in diese klinische Studio-Situation, wenn ich vor dem Mikro stehe und auf Kommando gefühlvoll singen soll. Wie soll das denn bitte gehen? Jedenfalls geht es nicht so authentisch und genussvoll, wie in dem Setup zu den Aufnahmen des jetzigen Albums. Da war mir egal, wie das mikrofoniert ist, ob da noch ein Fenster offen steht oder ob da ein Stuhl knatscht – ja, drauf geschissen!

motor.de: In deinem aktuellen Video hast du das ganze ja auch genauso umgesetzt ...

Hecker: (lacht) Ja da knatscht es auch. Ich finde, das verstärkt die Schönheit irgendwie noch. Man hat die Möglichkeit, sich noch was dazu- oder wegzudenken, somit ist das innerliche Bild viel größer, als das von einer fertigen Produktion. Vielleicht denkt man sich so die Perfektion, die letzten 30 Prozent, einfach selber dazu. Das ist dann vielleicht ein ähnlich inspirierendes Erlebnis wie beim Lesen eines Buches. Da hat man auch seine eigenen Bilder und keine vorgesetzen, wie im Film.

motor.de: Also ist das für dich persönlich auch komplett offen für jegliche Interpretationen?

Hecker: Ja absolut. Es ist eher eine Darstellung von einem Gefühl, einer Stimmung, einem Moment als ein fertig ausgearbeiteter Song. Daher kann ich mir jetzt auch die Aufnahmen anhören und genießen, weil ich unabhängig bin von der Meinung anderer. Es geht da nur um mein Gefühl im Moment. Ich habe es geschafft, dieses zu konservieren und da kann zehnmal ein Lastwagen vorbeifahren und irgendwas umfallen – das Gefühl ist da, und es ist heilig. Wenn ich zum Beispiel bei einer Aufnahme weinen würde, dann würde es wahrscheinlich nicht gut klingen. Aber ich würde sagen: "Ja, das ist perfekt!" Ich dachte früher immer, es sei messbare Perfektion, die ich brauche. In Wirklichkeit aber brauche ich ein Gefühl.

motor.de: Du willst doch aber sicher auch wieder touren und live spielen. Läufst du damit nicht Gefahr, dieses Gefühl nicht zu erreichen? Live fährt an deiner Bühne wohl eher kein Lastwagen vorbei. Ich meine, wie wirst du mit deiner neu gewonnenen Freiheit bei deinen Konzerten umgehen?

Hecker: Ein Konzert ist immer ein Roulettespiel, du weißt vorher nie, was passiert. Einerseits mache ich auch ein paar Konzerte auf der Straße, unter anderem hier in Berlin – da ist das Problem schonmal gelöst. Und live... Also bei meiner letzten Tour habe ich beim ersten Stück eine Elvis-Maske aus Gummi getragen und einen Robbie-Williams-Song gesungen. Nicht um die Leute zu provozieren oder zu verarschen, sondern, um die Erwartungshaltung zu brechen. Wenn ich diese breche, dann werde ich innerlich frei. Das Konzert muss unorthodox sein, damit ich den Druck nicht spüre. Ist man irgendwann frei genug und in der richtigen Stimmung, kann man absurder Weise sogar ein Konzert spielen, das auch messbar perfekt ist. Solange ich das in der Öffentlichkeit mache, kann ich vielleicht unorthodoxe Wege wählen, aber dem Problem nie komplett entkommen. Sollte ich irgendwann selbstbewusst sein, dann kann ich vielleicht sogar vom ersten Song an ohne Elvis-Maske bei mir sein. Vielleicht bin ich da in zehn Jahren entwickelt genug – oder auch nicht.

motor.de: In deinem Musikvideo kommt ein Buch vor namens "Gefährliche Geliebte", das sicher auch eine Bewandnis für dich hat. Welche Rolle spielen der Autor Haruki Murakami und dieses Buch für dich?

Hecker: Ich habe dieses Buch kurz vor dem Videodreh gelesen. Es versetzte mich in die Welt, die ich auch durch meine Tourneen kannte. Insbesondere bei den Frauen, von denen Murakami begeisert ist, habe auch ich für mich attraktive Charaktermerkmale wiedererkannt - psychisch kranke und fragile Geistwesen. Die Identifikation war so stark, weil sie leider in gewisser Weise auch mit meinem Beuteschema zu tun haben. Zu dieser Shimamoto fühlte ich mich sehr hingezogen. Aber eine noch tiefere Bedeutung kann ich dir jetzt nicht schildern. Naja im Zweifelsfall: Nana – die gefährliche Geliebte. So ganz grob übersetzt.

motor.de: Du hast ja mit 'ner Schülerband namens „The New Beatles“ angefangen ...

Hecker: (überrascht) Wo hast du das her? Klavier und Schlagzeug ja..

motor.de: ...und dann haben wir jetzt mit einem Mal lange Haare, einen Bart und da hinter dir grinnst mich eine Imagine-VHS an. Was würdest du sagen, wie viel John Lennon steckt in dir?

Hecker: Ich habe gerade seine Biografie gelesen und mich eigentlich schon immer mit ihm identifiziert. Aber so richtig gefallen hat er mir am Ende nicht mehr. Da gab es so Charakterzüge wie zum Beispiel die Neigung zu Gewalt, auch zu körperlicher. Damit will ich mich nicht identifizieren. Ihm haben schon so ein paar empathische Fähikeiten gefehlt und er hatte vielleicht tatsächlich irgendeine diagnostizierbare Persönlichkeitsstörung.

motor.de: Vielleicht weil er "mit seiner Nana zusammengezogen ist"?

Hecker: (lacht) Naja, ich war immer sehr gerührt von John Lennon und Yoko Ono, dem Bild von ihnen: zwei sich inspirierende Künstler, zwei Menschen, die einander Freunde und Unterstützer waren. Diese narzistischen Aspekte, das Aussehen oder der Stellenwert der Sexualität, kamen als zweites. Und für mich ist das auch die einzige Möglichkeit, eine Beziehung zu führen. In erster Linie steht die Partnerschaft und Freundschaft, beide sind auf einer Augenhöhe und können sich inspirieren und unterstützen. Dann kommt alles andere. Bisher sah mein Leben eher so aus, dass letzteres meist an erster Stelle stand. Da arbeite ich dran, ich finde dieses Yoko-Ono-Prinzip interessant. Es war ja auch für Lennon eine Frau, die ein paar Jahre älter war. Ich glaube, bei mir könnte das ähnlich aussehen.

motor.de: Also der Plan die Frau für's Leben zu finden, der ist nach wie vor da?

Hecker: Irgendwo ist er da, gleichzeitig hab ich aber nicht den Schimmer einer Ahnung, wie ich das umsetzen soll. Es ist halt mehr so ein Ideal, von dem man träumt.

motor.de: Du sagst selbst von dir, du seist glücklich, wenn du traurige Songs schreibst. Wie kann man sich das erklären?

Hecker: Glückseligkeit, Schmerz und Angst bilden eine Einheit in mir, und ich glaube in jedem Menschen. Widersprüche sind nur etwas, das man rational wahrnimmt. Würde man in seine Seele blicken können, ist da Todesangst und Glückseeligkeit vereint. Mir geht es jedenfalls so. Wenn ich diese Seele in ein Kunstwerk übertrage, dann ist dort dieser Widerspruch ebenso aufgehoben. Daher klingt es auch traurig, wenn ich von Glück singe und umgekehrt. Das ist für mich das gleiche Gefühl. Ich habe Jahre überlegt, warum man mich eigentlich immer auf Melancholie oder Traurigkeit anspricht. Für mich ist genau das ein Ausdruck von höchstem Glück. Es handelt sich um eine Einheit von Widersprüchen. Jedes echte Glück trägt auch den Tod in sich.

motor.de: Du machst ja den Eindruck eines sehr emotionalen Menschen – gibt’s da auch noch den Max der hier auf seinem Sessel sitzt und sich n paar Chips, n Bier und ne Folge Columbo [die sich auf Heckers Regal stapeln; Anm. d. Red.] reinpfeift?

Hecker: Das ist ja mein Hobby. Also, ich habe da so eine ganze Philosophie dahinter. Einmal in der Woche gönne ich mir Süßigkeiten und sonst nicht. Und dazu gucke ich dann einen Popcorn-Film. Ich glaube, das ist bei den meisten so, dass, wenn sie privat sind, sie sich weder verkopft noch exzentrisch, sondern so normal, wie sie dann eben in Wirklichkeit sind, geben. Ich habe neulich mal gedacht: „Ich bin normal und das ist auch gut so“. Ich will diese Normalität auch irgendwie zeigen. Das ist ein schöner Moment gewesen – festzustellen dass ich normal oder schlicht sein kann oder bin. Ich habe mich viel auseinandergesetzt mit der Frage „Will ich was besonderes sein, oder bin ich etwas besonderes, wie bin ich im Vergleich zu Anderen?“ Aber ich glaube, dass es viel gesünder ist, wenn man die eigene Normalität irgendwann erkennt und auch auslebt. Hoffentlich irgendwann, mit einer normalen, netten Frau.

motor.de: Kann es passieren, dass deine Songs auch zukünftig wieder asiatische TV-Werbespots unterlegen? Hast du keine Berührungsängste beispielsweise erneut mit Dunkin' Donuts zu kooperieren?

Hecker: Ich hoffe doch, dass es so kommt. Schließlich ist das ja meine Geldeinnahmequelle. Diese Spots ermöglichen mir erst, meine Musik beruflich zu machen. Insofern sage ich jetzt nicht, man dürfe nicht mit Dunkin' Donuts kooperieren. Ich habe darin nie ein Problem gesehen und mich auch nie als politischen Musiker dargestellt, der auf keinen Fall mit irgendwelchen Großkonzernen kooperiert.

motor.de: Gegenüber laut.de hast du 2003 mal gesagt: „Ich will Nirvana und Madonna in einem sein.“ Der eine geht an den Drogen kaputt und kommt mit seiner Prominenz nicht klar und die andere kann vom Rampenlicht gar nicht genug bekommen. Diese Spanne ist schon sehr krass. Wie hast du das damals verstanden und wie stehst du jetzt dazu?

Hecker: Ich war damals Fan von Nirvana, dachte aber, das könne nicht alles sein. So habe ich mir ein Nirvana-T-Shirt gekauft, dachte dann, ich müsste mich eigentlich wie Cobain kleiden und wie er singen. Genauer gesagt, dachte ich, ich müsste er sein. Im Grunde geht es um die extremste Form des Fandaseins, nämlich selber ein Idol zu werden. Es hat nichts damit zu tun, weltberühmt werden zu wollen. Es genügte mir nur nicht, dass ich nur ein Poster von einem Star im Zimmer hängen habe.

motor.de: Du hattest aber nicht die Absicht, unter die goldenen 27er zu gehen, oder? Jimi, Janis, Jim …

Hecker: (sofort) Doch hatte ich. Ich bin übrigens tot! (lacht) Nein natürlich nicht, wie könnte ich.