Die Unterschiede zwischen westlicher und asiatischer Musik werden immer geringer


Maximilian Hecker ist schlaflos in Fernost. Zumindest verleitet sein immenser Output zu dieser Ableitung. Nachdem im Oktober sein »Südkorea«-Buch »Lottewelt« erschienen ist, folgt nun mit »Neverheart« das neue Album. Thomas Venker, der mit Maxi u.a. Silvester 2010 in Japan verbrachte, hat sich mit ihm über seine spezielle Affinität zu Asien, das Kitty-Yo-Berlin und den künstlerischen PingPong zwischen Literatur und Popmusik unterhalten.

Maxi, Ende Oktober erschien dein Buch »Lottewelt«, das in Seoul, Südkorea spielt; im November folgte eine China-Tournee, generell pflegst du seit vielen Jahren eine enge künstlerische Beziehung zu Asien. Was denkst du, woran es liegt, dass deine Musik gerade dort so viele Fans hat?

Zunächst hatte ich das Glück, dass mein erstes Label, Kitty-yo, international arbeitete, eine Zeitlang einen gewissen Kultstatus genoss und meine drei Kitty-yo-Alben (»Infinite Love Songs«, »Rose« und »Lady Sleep«) daher eben auch in den Indie-Plattenläden in Seoul, Taipeh und Peking landeten. Ich wurde also zunächst einmal wahrgenommen am »anderen Ende der Welt« – und eines Tages dort gesigned, zunächst in Korea. Zudem sorgte meine koreanische Plattenfirma eifrig dafür, die Songs ihrer Künstler in der TV-Werbung und in K-Dramen unterzubringen. Mein Erfolg in Korea begründet sich durch die Verwendung meines Songs »I’ll Be a Virgin, I’ll Be a Mountain« im populären K-Drama »The 1st Shop of Coffee Prince«. Hinsichtlich Taiwan wiederum war es eine in Paris lebende taiwanische Promoterin, die meine Musik entdeckte und sie sämtlichen taiwanischen Indie-Popstars vorstellte, mit denen sie befreundet war. Und der Schritt nach China gelang dann über mein taiwanisches Label, dass mich einem festlandchinesischen vorstellte. Unabhängig davon glaube ich, dass meine »klassisch romantische« und somit eskapistische künstlerische und musikalische Haltung in Ostasien ein Echo findet, da Kunst dort meiner Meinung nach ebenso eher ein Mittel zum Eskapismus darstellt, als dass sie ausgeübt wird, um Gruppenzugehörigkeit zu demonstrieren oder Sozialprestige zu erlangen. Wohlklang, Träumerei, Realitätsflucht, die sogenannte »Schönheit des Kummers« (bezogen auf den Begriff »Han« in der koreanischen Kultur), diese Attribute zeichnen einen Großteil der ostasiatischen Popmusik aus – wenn man einmal vom Uptempo-K-Pop absieht. Während die Liebesballade erst die dritte oder vierte Single eines westlichen Popmusikers ist, kann es schon mal sein, dass sie bereits die erste, spätestens aber die zweite eines ostasiatischen ist. Das »Gefühlslied« hat eine ganz andere Tradition in Ostasien; man schämt sich nicht etwa wie bei uns für die heimliche Vorliebe für z.B. Richard Sandersons »Reality« oder Harry Nilssons »Without You«; im Gegenteil, man ist stolz auf seine Ergriffenheit vom tiefen und tiefsten Gefühl.

Inwieweit nimmst du als Musiker denn die Unterschiede zwischen Europa und Asien wahr?

In der Antwort oben klingen ja schon einige Unterschiede an. Allerdings muss ich zugeben, dass ich kaum aktuelle Musik verfolge. Eigentlich höre ich bloß zwei Dinge: Die Drei Fragezeichen und Paul Buchanan bzw. The Blue Nile. Ich kann also nicht gerade viel sagen zur zeitgenössischen westlichen Musik. In Koreas Indiepop-Szene habe ich indes ein paar tolle Sachen entdeckt, allen voran Jeon Jinhee. Ich beschäftige mich jedoch nicht gerade intensiv mit K-Pop oder K-Dramen – bin also mitnichten ein »K-Head«; aber den Kopf haben sie mir dann doch irgendwann verdreht –, allerdings beschäftig(t)en sich die »K-People« mit MIR, sodass es nicht unüblich ist, dass ich in einer Seouler Bar von Siwon Choi von Super Junior angesprochen werde, der um ein Selfie bittet, oder auf ein Date mit einer mir unbekannten und eher unscheinbaren Schauspielerin eingeladen werde, deren Plakat ich anderntags – ganz »Notting-Hill-mäßig« – auf einem Bus entdecke. Die Beschäftigung mit der koreanischen Kultur wurde mir also irgendwie um die Ecke zwangsverordnet. Was ich eigentlich sagen will: Würde ich mich mit K-Pop besser auskennen, fiele meine Einschätzung hinsichtlich der Kulturunterschiede wahrscheinlich anders aus. K-Pop mischt die Musiklandschaft ja weltweit auf, und die Unterschieden zwischen »westlicher« und »asiatischer« Musik werden immer geringer, denke ich. Beziehungsweise: Womöglich versucht die westliche Popmusik heutzutage sogar, »asiatisch« zu klingen, genauer gesagt: koreanisch…??

Du veröffentlichst nach dem Buch nun auch ein neues Album: »Neverheart«. Konntest du denn zeitgleich an beiden arbeiten?

Ich hatte nach meinem turbulenten Korea-Jahr 2018 beschlossen, endlich mal meine »koreanische Geschichte” aufzuschreiben und mich in dem Zuge auch endlich mal mit meiner (schwerstbehinderten und früh gestorbenen) Schwester Katharina (im Buch Liselotte) auseinanderzusetzen. Im Frühjahr 2019 habe mit dem Buchschrieben begonnen, und das Buch war mein unbedingter Fokus. Ich ging auch gar nicht davon aus, dass man an fünf Tagen der Woche acht Stunden am Schreibtisch sitzen und gleichzeitig neue Songs schreiben könne. Jedoch, immer, wenn ich meine Eltern in meiner Heimatstadt Bünde besuchte in den letzten vier Jahren – was häufig geschah, da mein Vater in den Jahren vor seinem Tod sehr unter seinem Parkinson litt – habe ich in meinem Kinderzimmer auf dem guten alten Yamaha PSR-280, dem »Infinite-Love-Songs«-Keyboard, herumgeklimpert. Zunächst mit der Intention, ein paar Paul-Buchanansche »Mid-Air«-artige Fragmente zu schreiben. Doch schließlich wurde eine »echte« Platte aus dieser Vorgehensweise. Auch die Lyrics entstanden im Bünder Kinderzimmer. Am Roman hingegen arbeitete ich in Berlin. »Lottewelt« ist innerhalb von drei Jahren entstanden und hat mich, und dieses Wortspiel muss ich an dieser Stelle einfach mal loswerden, vom Kafka-Insekt zum Rilke-Insekt werden lassen.

Inwieweit beeinflussen sich diese beide künstlerischen Welten denn?

Ich habe meine Art, Prosa zu schreiben auf die Lyrics angewandt. Als großer Fan vom augenzwinkernden Oxymoron und der ständigen Wiederholung, inklusive leichter Abänderung des Wiederholten, habe ich dieses Mal auch meine Liedtexte nach jenem Prinzip verfasst. Ein gutes Beispiel ist »Neverheart«, in dem die Strophen stets ähnlich beginnen, und sich der Tenor langsam aber sicher von Hoffnung zu Aussichtslosigkeit wandelt: »I’m leaving for your motherland and for your mother’s heart ––– I’m leaving for your broken land and for your broken heart ––– I’m leaving for your neverland and for your neverheart.«

Gibt es konkrete textliche Bezüge zwischen Songtexten und Buchpassagen?

Das hatte ich tatsächlich ursprünglich vor. Doch dann merkte ich, dass die Liedtexte zuallererst »klingen« müssen und eine theoretische Herangehensweise (pro Kapitel ein gleichnamiger Song) meiner intuitiven Arbeitsweise widersprechen würde. Inhaltlich aber gibt es unbedingt Bezüge: Der scheinbar unter einem Fluch stehende, wie eine Marionette an Schicksalsfäden hängende und somit zu aktiver Schicksalsveränderung unfähige Protagonist, dessen Lebens- und Liebesweg bereits beschlossen ist – und zwar einerseits durch seine Vergangenheit, darüber hinaus aber ebenso durch ihn selbst, denn er ist ja sowohl Erleber als auch gleichzeitig Erzähler seiner eigenen Geschichte. Das Ende seines Liebesunfähigkeitsromans steht bereits fest: Liebe? Vergiss es … Bitte weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen … Pech gehabt, Arschloch. Eine offenbar ständige Reinszenierung des frühkindlichen Traumas: Vom Mittelpunkt der (mütterlichen) Aufmerksamkeit durch die Geburt der »fatalen Schwester« Liselotte und die damit einhergehende Traumatisierung der Mutter urplötzlich an den Aufmerksamkeitsrand gedrängt. Der Typ mit dem Nimmerherz, der sich bloß Gespielen mit ihrerseits Nimmerherzen sucht. Eine Art Kaffeekränzchen der tormented Kids, der grauen Herren oder vielmehr der grauen Kindgebliebenen aus »Momo«. Doch es findet auch, zumindest auf der Platte, eine Akzeptanz mit der scheinbar ausweglosen, verfluchten Situation statt; im Lied »Neverheart« klingt doch in gewisser Weise der gemachte Frieden mit dem Nimmerherzschmerz an.

Welcher Auftritt in Asien ist dir nachhaltig am meisten im Gedächtnis geblieben und warum?

Das war am 23. Januar 2011 im Sejong Center in Seoul, ein Joint Concert mit der amerikanischen Singer-Songwriterin Rachael Yamagata. Ich hatte mich damals gerade von meiner japanischen Freundin getrennt, deretwegen ich einige Zeit zuvor nach Tokio gezogen war. Am besten zitiere ich hier einfach Tagebuchaufzeichnungen aus jener Zeit: »Nach dem Dinner trinke ich weiter, und als das Konzert beginnt, hat mich die Mischung aus Cass-Bier, draufgesoffen auf den Kater der gestrigen Verschleißnacht, meiner krankhaften Naoko-Fixierung und der im Gespräch mit Rachael deutlich gewordenen Sackgasse, in der ich mich befinde, in einer verdrehten Art und Weise in eine Scheißegal-Variante des beseelten und erhabenen Stadiums des 29. November 2006, Konzert im The Wall Live House in Taipeh, versetzt: Die zweitausend Zuschauer im Sejong Center bewirken rein gar nichts in mir, keine Aufregung, keinen Stolz, kein Gefühl der Beobachtung, meine Stimme ist klar und rein, ich muss überhaupt keine Anstrengung aufbringen, sie zum Klingen zu bringen, und während meines Auftritts habe ich bloß einen einzigen Gedanken: Dass ich, zumindest auf dem Papier, keinen anderen Ausweg außer Selbstmord habe, da das, wonach mein ganzer Körper schreit – zu Naoko zurückzukehren – am Ende zu genau der gleichen Katalyse führen würde, die ich vor der Trennung erlebt habe.«