Der Sänger im Roggen

Maximilian Hecker über sein zweimal von der Muse geküsstes Album und den Tod im Glück



Herr Hecker, ins Deutsche übersetzt heißt Ihr Album ungefähr so: "Ich bin nichts weiter als Gefühl, kein menschliches Wesen, kein Sohn, nie wieder Sohn ." Wessen Sohn wollen Sie nicht mehr sein?

Der Titel entspringt meinem Lied "Blue Soldier Night". Diese Worte sind einfach beim Singen aus mir herausgeflossen. Natürlich ist das eine Textzeile, über die sich ein Psychoanalytiker erstmal sehr freuen würde. Es sollte eigentlich die Aufgabe des Journalisten sein, diesen Titel zu interpretieren, aber das kann ich natürlich gerne für Sie machen.

Ja, bitte.

Ich habe begriffen, dass ich mich außerhalb der durch die Eltern repräsentierten bürgerlichen Gesellschaft stellen muss, um mich vollständig sehen zu können. Ein Psychologe würde hier wohl den Begriff des Über-Ichs ins Spiel bringen. Ich habe den Eindruck, diese Vernunftinstanz ist bei mir sehr stark ausgeprägt. Vielleicht strenger als bei vielen anderen, deshalb muss ich immer noch dagegen rebellieren.

Sie scheinen einen sehr kindlichen Respekt vor dem eigenen Über-Ich zu haben.

Ja, ich fühle mich immer noch sehr stark von diesen Regeln beeinflusst. Und ich habe das Gefühl, ich müsste mich erst außerhalb der Gesellschaft befinden, um diese Elternwelt endgültig loszuwerden. Das angesprochene Textzitat stammt übrigens aus einer Nacht im mondänen Berlin-Mitte.

Aus einem Rausch heraus.

Ja, es ging in der Nacht um die Zerstörung meiner Ich-Struktur! Und mit dem Rausch auch um die Zerstörung meines Über-Ichs. Und dadurch, daß kein Vernunftsystem mehr da war, kein Filter mehr, durchströmte mich eben erst ein reines Gefühl: Gefühle der Freiheit, der Glückseligkeit, aber gleichzeitig auch Gefühle der Angst.

Ihre Lieder sind also mit der Hilfe von Rausch an der Vernunft vorbeigeschleust?

Genau. Und trotzdem frage ich mich in solchen Zuständen immer: Ist es nun das Freudsche Es, also das Tierwesen in mir, oder das wahre Ich, welches da singt? Ich kann mich da nie richtig entscheiden. Es tritt dann auch immer das kindliche "Ich" hervor, das gierige.

Ihr Singen ist also wie das Gejammer eines Kindes zu begreifen?

Auch da bin ich mir nicht sicher, ob es sich um mein erwachsenes, starkes Selbst handelt, das für die Lieder verantwortlich ist, oder ob doch eher ein kindlicher Ausdruck dahinter steckt. Ich denke aber schon, dass ich eher die Seele eines Sechsjährigen in mir trage. Bisher habe ich mich aber immer sehr darum bemüht, das in eine erwachsene Form zu bringen.

Bei diesem Album sind die Texte nun aber zur Musik improvisiert worden und erst später verdichtet.

Ja, es war der Mut, in diese Unsicherheit zu springen: Was passiert, wenn ich mich ganz nackt, ganz kindlich in so eine Situation begebe?

Aber Sie nutzen doch die englische Sprache als Schutz. Es ist ja nicht Ihre Muttersprache!

Das mag vielleicht ein Nebeneffekt sein, aber der Grund ist auch wieder ein kindlicher: Die erste Musik, die ich gehört habe, waren die Platten meiner Eltern - und das waren nun mal Melanie und die Beatles. Wenn ich also heute in Englisch singe, dann ist das für mich eher eine Referenz an die Kindheit.

Die Musik dazu klingt extrem pathetisch. Dennoch kennt man Sie in Berlin auch als den komischen Kauz mit einem Kinderkeyboard auf der Straße. Sie können sich offenbar nicht entscheiden zwischen Kleinkunst und Bombast.

Ich will beides! Ich habe oft in professionellen Situationen keinen Bombast mehr empfunden. Umso mehr bei diesen schrottigen Momenten. Auf der Torstraße zum Beispiel. Wenn kein Orchester zu hören ist, sollen die Leute sich das einfach dazu denken! Alles Fragmentarische lässt doch Raum.

Über dieses Album wird gesagt, dass eine Prostituierte als Muse fungierte. Es gab aber wohl noch eine andere Frau, die Sie hier inspirierte. Sie brauchen also die Kraft von zwei Frauen für so ein Album mit Bewusstseinsstrom-Liedern?

Ja, Lieder wie besagtes "Blue Soldier Nights" handeln von einer Frau aus Berlin. Die anderen sind tatsächlich durch Nana, so der Name der Prostituierten, inspiriert. Sie tauchte in einem Moment in meinem Leben auf, als ich das Bedürfnis hatte, mich aufzulösen. Es war eine starke Krise: Versagensängste. Zweifel an meinem Beruf. Ich empfand es plötzlich auf Bühnen oder im Studio unmöglich, frei meine Gefühle zu äußern. Und meine Musik funktionierte nicht mehr als Therapie für mich.

Sie erschien Ihnen plötzlich nutzlos?

Ja, nutz- und haltlos. Aber es ging auch darum, was die vielen Tourneen durch Asien mit mir gemacht hatten. Ich dachte: Wenn das mein Beruf sein soll, sollte ich besser Taxifahrer werden. ich hatte zusätzlich noch Probleme mit meiner Stimme. Ich konnte zwar singen, aber die Schleimhäute an den Stimmbändern spielten nicht so richtig mit.

Ihr Körper widersetzte sich.

Ja, wissen Sie, ich hatte irgendwann angefangen, meine Erlösungssehnsüchte auf Asien zu projizieren. Ich habe mir vom fremden Asien immer erhofft, viele große Gefühle zu entdecken. Also auch das Fremde in mir zu entdecken: das Unterbewusste. Aber am Ende war ich einfach sehr enttäuscht. Meine Erlösungssehnsüchte wurden nicht erfüllt. In dieser Nacht, als ich Nana in Tokio begegnete, war ich tatsächlich auf dem Tiefpunkt. Ich habe danach sehr lange gebraucht, um wieder zu mir zurück zu finden. Aber dann ergab alles wieder einen Sinn!

Glück gehabt.

Für mich ist es so: Echtes Glück trägt immer auch den Tod in sich. Es geht um den Moment, in dem ich in meine Seele blicken kann und mich sehe in einem Moment der Befreitheit von der Todesangst. In meinen Liedern ist also Glückseligkeit und Todesangst vereint! An der Oberfläche wird es zu seinem scheinbaren Gegensatzpaar. Aber wenn ich in mich hinein blicke, dann stellt es keinen Widerspruch da. Also das, was man allgemein auch dem Sex zuspricht: Wenn der Fortpflanzungstrieb mit sich selbst ringt!

Sie sind also quasi in der Lage, in Ihren Liedern Sex mit sich selbst zu praktizieren?

Irgendwie schon. Aber auf eine sehr saubere Art und Weise.

Haben Sie schon mal konkret mit einer Frau über Familiengründung nachgedacht?

Da müsste ich erstmal eine finden, die zum zweiten Date erscheint.