Schön leiden
Sein erstes Album wurde von der »New York Times« gestreichelt, mit dem zweiten war er auf Welttournee, beim sechsten hat er mit dem Schaufenster gesprochen. Wer nun? Maximilian Hecker, wohnhaft in Berlin, 32 Jahre jung, 90 Prozent nüchtern, zehn Prozent romantisch. Hecker, der Quartalskünstler, empfindet »ähnlich dem Quartalssäufer nur in manchen Lebensphasen die Lust zum Musikmachen«. Jetzt war die Zeit wieder reif, und die Geschichten waren faulig genug, um etwas Neues zu veröffentlichen. Dieses Mal auf seinem eigenen Label Blue Soldier Records, weil seine alte Plattenfirma zu arbeiten aufgehört hat und das lange kein Grund ist, selbst mit der Arbeit aufzuhören.
Das Ergebnis liest sich so: »I Am Nothing But Emotion, No Human Being, No Son, Never Again Son«. Es ist der Titel der neuen Platte, »es ist ein Zitat aus dem Gedicht im ersten Song und bezieht sich auf eine Phase, in der ich sehr intensiv gefühlt habe«, erklärt er sich am Telefon. Gefühle sind wichtig für Maximilian Hecker, Bauchgefühle sind seine Kunst, darauf wird er noch selbst zurückkommen. Die Platte aber hat drei Themen: »Zwei Frauen und mich«, sagt er und macht die Manege frei für Spekulationen: »Die eine Frau ist Nana, eine japanische Prostituierte, und die andere ist eine Künstlerin, die in Berlin lebt. Der Rest bin ich.« Fragt man jetzt frech, in welchem Verhältnis die beiden Damen zu ihm stünden, antwortet er mit blasser Stimme: »Ach, die stehen gar nicht zu mir. Es ist wie immer in meinen Geschichten so, dass sich die Frauen in der Regel nicht für mich interessieren, und das ist eben die Inspiration.« Sind es zwei Wunden? »Nein, nicht so wirklich. Es sind keine echten Liebesgeschichten, weil es dafür zu kurz war. Es geht hier eher um Möglichkeiten für Projektion. Ich schreibe auch nie ein Lied direkt über jemanden, es ist immer ein Lied über mich.« Aber es waren intensive Kurzgeschichten? »Ja, das waren sie.«
Fühlen wie mit sechs Jahren. Es ist eine stille, liebesbedürftige Platte, auf der sich Maximilian Hecker in »Nothing But Emotion« verwandelt. »Das Gefühl ist der Gegensatz zum Alltags-Ich und dem, was ich zu 90 Prozent meines Lebens bin, also pragmatisch und vernünftig, Sohn meiner Eltern und Teil der Gesellschaft. Die Kunst ist für mich immer ein Weg zu fliehen und zu fühlen wie ein Sechsjähriger.« Deshalb sei das Album auch so fragmentarisch, spontan und einfach aufgenommen. »Ich wollte alles Rationale rausnehmen. Musik hat für mich nichts mit dem Kopf zu tun, auch wenn es häufig verlangt wird, dass man Kunst in Form bringt.« Dagegen wehrt er sich und betont: »Ich habe ein Bauchgefühl, und das ist mein Kunstwerk.« Nackt und formlos. Wenn er übrigens nicht gerade dabei ist, sein Bauchgefühl zu bündeln, tut er »das, was man eben so macht in seinem Leben«: Er bemüht sich um einen gepflegten E-Mail-Verkehr, sitzt alleine in seinem Zimmer und dann fällt ihm nichts mehr ein.
Hört man sich nun durch die 13 Herzensschreie und schaltet auch dann nicht ab, wenn Schluss ist, kommt ein versteckter Song von Bob Dylan. Diesen, »Sad Eyed Lady of the Lowlands«, hat Hecker in Tokio besoffenerweise in sein Handy gegrölt. Warum Dylan? Mit ihm verbindet Maximilian Hecker Liedideale, die für ihn existenziell sind. »Man kann Dylan nicht einfach so nebenbei hören, man muss sich den Liedern vollkommen widmen.« Bei seinen eigenen Liedern ist ihm die Aufmerksamkeit des geschätzten Publikums aber nicht in jeder Situation wichtig. Spielt er ein Straßenkonzert, was er nach wie vor hobbymäßig und unangemeldet betreibt, dann genießt er es, »wenn keiner zuhört und keiner etwas erwartet. Ich bin in der Öffentlichkeit und habe trotzdem keine konkreten Zuhörer, das ist schön.« Damit ist Maximilian Hecker auch groß geworden, vor bald zehn Jahren hat man sein Talent zur Schwermut quasi auf der Straße entdeckt. Da sammelte er noch unverstärkt singend und an der Gitarre zupfend Joberfahrung am Berliner Hackeschen Markt.
Nur fünf gute Konzerte. Heute fühlt er sich trotzdem bei Konzerten unter Druck gesetzt. »Da musst du etwas leisten, und sobald man das denkt, vergeigt man es.« Wenn man ihn – der seit seiner Jugend Schlagzeug, Klavier, Gitarre und Blockflöte spielt, all das auch öffentlich und häufig im asiatischen Raum – fragt, ob er denkt, dass er denn öfter mal was bei Konzerten vergeigt, wird der bisher ruhige und ausdrucksmagere Hecker plötzlich enthusiastisch und auf seltsame Art fröhlich: »Ja, ja! Es gab sicher nur fünf gute Konzerte in meinem Leben.« Er würde sich nämlich schwertun, vor Publikum immer das nötige Gefühl aufzubauen. »Und dann ärgere ich mich immer, warum es nicht einfacher sein kann.« Wenn er alleine ist, fiele ihm das alles leichter. Seinen Hörern macht er es nicht so schwer. Seine Auftritte sind »eine Art öffentliche Meditation, an der man teilnehmen kann oder auch nicht. Ich werde nie auf eine Bühne gehen, um die Leute zu entertainen. Das würde mir nicht einfallen. Es sind Freiwillige, die teilhaben können an meinem Leid.«