Live Review: 2009-03-26 Wien, Radiokulturhaus / FM4 Radio Sessions

GAR NICHT SO TRAURIG WIE IMMER ALLE BEHAUPTEN
Maximilian Hecker saß gestern Abend am Bösendorfer Flügel im Wiener Radiokulturhaus. Gleich neben ihm Bob Dylan, Lou Reed, Dr. Jekyll und Mr. Hyde.

back Kollegin M. hat mir gestern Nachmittag von einem Konzerterlebnis mit Maximilian Hecker von vor ein paar Jahren berichtet: Es war so still im Publikum, man konnte das Anzünden jeder einzelnen Zigarette lautstark hören. Kollegin J. hat vorher noch gemeint, vor ein paar Jahren bei einem Wienkonzert hat man Herrn Hecker nur von hinten bewundern dürfen, er hätte nämlich ausschließlich, der Schüchternheit wegen, mit dem Rücken zu seinen Fans gespielt. Beide Abende, anscheinend Erlebnisse sondergleichen, blieben mir verwehrt.

Gespannt war ich deshalb auf die Radiosession im kleinen und besonderen Rahmen. Schon am Nachmittag habe ich mich heimlich und neugierig ins Radiostudio geschlichen, um dem Live-Interview mit ihm zu lauschen und um vorzufühlen, worauf ich und die paar Hand voll glückliche Kartengewinner sich freuen dürfen. Und um seinen Geschichten zu lauschen, die er in der Zeit seit seinem letzten, 2006 erschienen Album "I'll Be A Virgin, I'll Be A Mountain" erlebt hat.

Being Maximilian Hecker

Nein, obwohl das aktuelle Album "One Day" sein mittlerweile fünftes ist, schätzt er sich eigentlich nicht als produktiver Mensch ein, erzählt Maximilian. Denn eigentlich schreibe er pro Jahr nur 12 Lieder. Dividiert also eines pro Monat. Addiert quasi eine Albumlänge in 365 Tagen. Und seine Liederskizzen, die klängen oft nach 'Schulband-Liedern'. Nur eine von 20 würde da herausstechen und sei es Wert, dass er an der Idee weiterarbeitet. Bescheidene Worte für einen Musiker, der auf der anderen Seite der Erdkugel als Superstar abgefeiert wird. Aber das Publikum selbst sei ihm sowieso nicht ganz so wichtig:

"Musik machen ist vordergründig eine Kommunikation mit mir selber. Wenn dieser Kreislauf stimmt, diese Kommunikation, die in sich geschlossen ist, dann bin ich in diesem Moment unabhängig von der Welt und brauche weder Resonanz von Außen, noch das Musikbusiness, noch irgendwas anderes."

Ausverkaufte Konzerthallen in Japan, China und Taiwan. Zurück in Berlin stellt sich Maximilian Hecker trotzdem immer noch gerne mit der Gitarre in der Hand auf die Strassen der Großstadt, um seine Lieder preiszugeben, so wie zu der Zeit als er noch ein fast Unbekannter war. Asiatische Touristen die vollkommen aus dem Häusschen sind, wenn sie bemerken, wer der singende Herr der da an der Strassenecke eigentlich ist, inbegriffen.

Aber zurück zum gestrigen Konzert. Eben nicht in einer Konzerthalle oder auf der Strasse, sondern in einem bis auf den letzten Sessel besetzten Radiokulturhaus.

Das schöne an den FM4 Radiosessions im Saal des Radiokulturhauses ist nicht nur, eine/n MusikerIn in einen ganz anderen Rahmen als sonst wahrnehmen zu können. Wirklich spannend wird es, wenn die Musiker selbst diesen Rahmen ausschöpfen und völlig neue Dinge ausprobieren. Mit gewohnten Konzerthabiten brechen, sich zum Beispiel an andere Formen der Selbstpräsentation wagen oder andere Instrumente als sonst bespielen und einen Abend so unvergesslich und besonders machen.

"Bei der heutigen FM4 Radiosession entspricht dieser Saal endlich dem, wofür er ursprünglich gebaut wurde. Für klassische Konzerte und Orchestermusik", meinte Kollege Martin Blumenau noch vor dem Konzert in seiner Ansprache. Denn Maximilian Hecker hat gestern all seine Lieder alleine an einem Bösendorferflügel dargeboten. Zum allerersten Mal überhaupt in dieser Form. Im schwarzen Abitur-Anzug, der Anno Dazumal 20 DM gekostet hat. "Kiloware aus dem Kaufhaus", wie Maximilian Hecker spaßhalber meint.

Like a rolling stone

"Habt ihr's eilig?", fragt Maximilian Hecker schüchtern und mit einem Grinser nippt er an seinem Bier. Er muss ja noch warm werden, damit er sich auch ja nicht verplappert, verspielt und daneben benimmt. Ein bisschen angespannt wirkt er, wird doch das ganze Konzert mitgeschnitten und von den vielen Kameras die ihm umzingeln, auch noch mitgefilmt. Aber egal, das Motto des Abends soll, wie man es in den kommenden eineinhalb Stunden auch noch selbst erleben wird, "Narrenfreiheit" sein. Und los legt er mit dem ersten Song, einer Coverversion von Bob Dylans "Mr. Tambourine Man".

Maximilian Hecker hat nämlich nicht nur eigene Songs mitgebracht, sondern eben auch die des großen Meisters, inklusive Akzent und der für Dylan typischen Art zu singen. Lieder wie "Like A Rolling Stone" und "I Want You" wechseln mit eigenen, fragilen, ins Mikrophon gehauchten Stücken wie "Miss Underwater". Ein Song der kürzlich von einer taiwanesischen Musikern erfolgreich gecovert worden ist und eigentlich Maximilians Mama gewidmet ist.

Ambivalenzen

Und so nahe man Maximilian Hecker während den einzelnen Songs auch zu kommen scheint, so schnell entgleitet er einem auch wieder durch die vielen selbstironischen Zwischenansagen und "Showeinlagen", nichts da mit den prophezeiten hängenden Mundwinkeln.

"Na? Seid ihr gut draaauf? Und habt ihr euch die neue Scheibe schon illegal runtergeladen? Wer hat sie schon? Aufzeigen! Ich hätte heute ja gerne welche verkauft, aber ich hab's verpeilt. Ich habe meinen Merch nicht mitgebracht. Zerstreuter Künstler und so."

Und hallo? War das etwa gerade Joshua Kadisons "Jessie" anstatt des angekündigten "The End of Longing"? Und Barry Manillows "Mandy"? Und Robbie Williams "Misunderstood"? Immer wieder wird die Schwere und Stille - in der man sogar das leise donnernde Pedaltreten am Flügel bis in die hintersten Reihen hören kann - und der Pathos sabotiert und an eine kippende, erleichternde Spitze getrieben. Eine Möglichkeit, um auch mal ungeniert ein bisschen "lauter" durchatmen zu können, nicht nur für das gebannte Publikum, "denn ich muss ja auch herauskommen aus dieser Anspannung", erklärt Maximilian Hecker.

Da wo ich sitze, erste Reihe links, ergibt sich übrigens ein interessantes Bild: Eine auf dem Kopf stehende Spiegelung von Maximilian Hecker auf der Innenseite des Deckel seines Flügels. Und wirklich: Als würden tatsächlich zwei Personen diesen Abend bestreiten, als würden Dr. Jekyll & Mister Hyde höchstpersönlich tauziehen, so schnell wechselt der Musiker zwischen den Persönlichkeiten. Einerseits wohlbekannter, eindringlicher Melancholiker, andererseits beschwingter Entertainer. Und inmitten des Konzerts wird dann auch noch der Flügel verlassen um kurz auf die Toilette zu verschwinden!

"Seid ihr noch da wenn ich wieder komme? Nach dem Konzert is nämlich Disko! Wo kann man denn hier in Wien fortgehen?"

Und ein paar Minuten später beim wieder kommen dann die Zugabe: Hemd vom Leib gerissen, 60er Jahre Fliegerbrille auf der Nase und Anekdoten über ein Zusammentreffen mit Julie Delpy Backstage. Ironisiertes, unterhaltsames Rockstargehabe, geparrt mit einer Coverversion von The Velvet Undergrounds 'Heroin'.

Maximilian Hecker hat sich in den knapp 100 Minuten auf der Bühne als schillerndes Chamäleon erwiesen. Er ist in alle erdenklichen Rollen geschlüpft. Hat mit seiner Persönlichkeit, seiner Stimme, eigenen Songs und vielen geliehenen musikalisches Ping Pong gespielt. Und vor allem die fremden Songs gelungen zu seinen eigenen gemacht.

Und es würde mich übrigens nicht wundern, wenn ihm nach dem Klavierkonzert tatsächlich noch jemand beim wilden herumhüpfen in einer Disko getroffen hat. Hat wer?